Unentbehrlich
Maria Katharina Moser über ein Leben in Fülle
Was ist entbehrlich, was unentbehrlich? Was brauchen wir, und worauf können wir verzichten? Eine Frage, die jeden und jede persönlich im Alltag beschäftigt, aber auch die Gesellschaft. Und die Theologie.
Ein Beispiel: Zu Beginn des Evangeliums nach Johannes wird die bekannte Geschichte von der Hochzeit zu Kana erzählt. Der Wein geht aus. Auf Bitten seiner Mutter Maria verwandelt Jesus Wasser zu Wein. Ich möchte die Frage nach dem Wunderglauben, wie wir sie heute stellen, beiseitelassen – für die Menschen zur Zeit Jesu waren Wunder normal. Ich möchte fragen, was uns diese biblische Geschichte sagen kann.
Das Wein-Wunder ist ein entbehrliches Wunder, meint der Theologe Fulbert Steffensky. Unentbehrlich hingegen seien Wunder, bei denen es um Fragen des Überlebens geht, um Heilung oder die Vermehrung von Brot, das tausende hungrige Menschen satt macht. Ich kann da nicht zustimmen. Ich denke, das Wein-Wunder ist keineswegs entbehrlich. Es ist unentbehrlich. Denn es erzählt, wofür Jesus gekommen ist: damit wir das Leben haben, und damit wir es in Fülle haben. Es geht um mehr als ums nackte Überleben. Wobei: Leben in Fülle meint nicht übertriebenen Überfluss.
Ein Slogan der ersten Frauenbewegung fällt mir ein: Brot und Rosen. „Eine Arbeiterin braucht Brot, aber sie braucht auch Rosen“, hat die New Yorker Gewerkschafterin Rose Schneiderman im Jahr 1911 bei einer Rede gesagt. Textilarbeiterinnen in Massachusetts haben den Slogan „Brot und Rosen“ bei einem Streik zu ihrem Protest-Lied gemacht: „Und wenn ein Leben mehr ist als nur Arbeit, Schweiß und Bauch, wollen wir mehr: Gebt uns das Brot, doch gebt die Rosen auch“, haben sie gesungen, und: „Her mit dem ganzen Leben!“ Es geht um mehr als das bloße Überleben. Es geht um ein gutes Leben.
Zur Definition von Armut gehört heute und hierzulande – neben Dingen wie die Wohnung nicht angemessen warm halten oder sich keine Waschmaschine leisten können –, es sich nicht leisten zu können, einmal im Monat Freunde und Freundinnen oder Verwandte zu sich nach Hause zum Essen einzuladen. Armut bedeutet Entbehrungen. Einen schmerzlich empfundenen Mangel. Freudiges Beisammensein mit anderen Menschen ist unentbehrlich. Isolation und Einsamkeit verletzen die Seele. Zum guten Leben gehört das Feiern.
Wir sollen nicht nur überleben können, sagt Jesus, wir sollen das Leben in Fülle haben. Dafür stehen die Rosen. Dafür steht der Wein. Gott hat den Wein erschaffen, lesen wir im Alten Testament, damit er des Menschen Herz erfreue.