Teufelskreis und Engelsreigen
Maria Katharina Moser über Chaos, das Chaos produziert
Die diebstahlgesicherte Sattelstütze meines Fahrrads ist kaputt. Leider gab es im Fahrradgeschäft keine passende lagernd, und so habe ich einen herkömmlichen Schnellspanner genommen. Jetzt stehe ich vor der Frage: Soll ich, wenn ich mein Rad bei einem öffentlichen Radständer abstelle, den Sattel zur Sicherheit rausnehmen? Schließlich sind Fahrradsattel, wie ich auch aus eigener Erfahrung weiß, beliebte Mitnahmeobjekte. Andererseits: Wenn ich das Rad ohne Sattel stehen lasse, könnte das erst recht einen Dieb dazu motivieren, ein Rad oder die Glocke abzumontieren. Man kennt ja das Phänomen: Ein zerbrochenes Fenster animiert dazu, weitere Schäden anzurichten. Wenn Müll neben dem Mistkübel liegt, ist das eine Einladung, seinen Mist ebenfalls achtlos fallen zu lassen. Und wenn in einem Modehaus T-Shirts und Hosen kreuz und quer liegen, legt kaum jemand das Shirt nach dem Anprobieren feinsäuberlich an seinen Platz zurück. Chaos produziert Chaos, Regelbrüche laden zu weiteren Regelbrüchen ein.
Niemand ist eine Insel. Wir lernen lächeln, indem wir das Lächeln unserer Eltern nachmachen, und Sprechen, indem wir ihre Worte nachbilden. Das Verhalten anderer prägt uns. Unser Leben lang. Stimmung und Klima in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, ja in der Gesellschaft insgesamt beeinflussen uns. In die eine wie in die andere Richtung. Wir können in negative Sogwirkungen von Neid und Missgunst ebenso hinein gezogen werden wie in positive Dynamiken von Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft. So wie es einen Teufelskreis der Ablehnung gibt, in dem Menschen einander hinunterziehen, gibt es auch etwas, das ich Engelsreigen nennen möchte: eine Spirale der Wertschätzung, in der wir einander hoch tragen.
Studien zeigen: Die Absicht, Menschen Gutes zu tun, entsteht nicht zuletzt durch soziales Verhalten anderer. Dafür, wie wir uns verhalten, ist vor allem die Frage von Bedeutung: Was glauben wir, dass andere tun? Das wusste schon der Apostel Paulus. Im Brief an die Epheser schreibt er: „So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat.“
Das wünsche ich mir von Christen und Christinnen: Dass sie anderen einen guten Grund geben zu denken, ja, Christen sind Menschen, die in der Liebe wandeln; und so anstiften zu einem Engelsreigen der Liebe.