Strafvollzug: Nachdenken über alternative Formen der Wiedergutmachung nach Straftaten

 
von Evangelischer Pressedienst

Expert:innen bei Podiumsdiskussion skeptisch zu „Heilung durch Gefängnis“

Wien (epdÖ) – Verstärktes Nachdenken über „konstruktive“ Alternativen zum derzeit üblichen Strafvollzug haben Expertinnen und Experten bei einer Podiumsdiskussion in Wien eingefordert. Das „Wegsperren“ von Straftätern sei mit hohen Kosten bei vergleichsweise wenig nachhaltigen Ergebnissen verbunden, zumal es in den Haftanstalten keine echte Wiedergutmachung gebe und eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu wenig vorbereitet werde. So der Tenor bei der Veranstaltung, die am Freitag, 12. April, in der Akademie der bildenden Künste unter dem Titel „Raus aus dem Gefängnis – Was Strafe bewirkt“ stattgefunden hat.

Strafe als bewusst zugefügtes Übel habe „keinen Heilungscharakter“, verwies der Sprecher der evangelischen Gefangenenseelsorge, Markus Fellinger, auf Grunderkenntnisse der Erziehungswissenschaft zu Wirkungen von Drohungen mit Strafe oder Gewalt. Auch die abschreckende Dimension sei „höchstens marginal“. Festgehalten werde daran dennoch, da menschliche Rachegefühle „politisch leicht ausschlachtbar“ seien, so die Auffassung des Theologen.

Fellinger: „Soziale Rehabilitationseinrichtungen“ als denkbare Zielvorgabe

Als denkbare Zielvorgabe für eine Reform der Gefängnisse schwebte Fellinger deren Umgestaltung zu „sozialen Rehabilitationseinrichtungen“ vor, in denen „jemand, der das Sozialgefüge durch eine Straftat verletzt hat, wieder dazu fähig gemacht wird, in diesem Sozialgefüge zu leben“. Bei schweren Straftaten erfordere dies von allen Betroffenen „viel Zeit und Hinwendung“.

Dennoch müsse differenziert werden. Denn der Freiheitsentzug könne laut Fellingers Erfahrung doch sehr wohl für bestimmte Personen eine „Chance“ darstellen. Immer wieder höre er „Ich bin froh, dass ich eingesperrt worden bin, denn die Spirale ging nach unten“, besonders bei Menschen mit Suchtproblemen, „weil sie ihre Sucht selbst nicht stoppen können“. Damit die gesetzte Grenze nicht zur Mauer werde, brauche es dabei aber „massive Betreuung“.

Der frühere Gefängnisdirektor Thomas Galli, heute Anwalt, berichtete von Kontakten zu einzelnen ehemaligen Insassen, die auf einen guten Weg gekommen seien. Sie hätten es aber „eher trotz Gefängnis, nicht deswegen“ geschafft, sagte der Jurist. Als für die jeweilige Person „sinnvolle Maßnahme“ werde die Haft rückblickend von niemandem bezeichnet, viel eher als „schädigend“. Galli führte dies auf die dadurch geschehene „Demütigung“ zurück: Oft handle es sich bei den Häftlingen um junge Männer, die Bestätigung von Gleichgesinnten benötigten – was der Ausschluss von der Gesellschaft missachte.

„Restaurative Dialoge“ als „großer Gewinn“

Von Erfahrungen mit „restaurativen Dialogen“ in Gefängnissen berichtete die auf Täterarbeit spezialisierte Sozialpädagogin Daniela Hirt. Inhaftierte Täter träfen dabei in einem Zeitraum von bis zu neun Monaten immer wieder auf Betroffene von Delikten sowie Menschen aus der Gesellschaft. Der komplexe Prozess mit gemeinsamen und getrennten Treffen der einzelnen Gruppen ziele auf einen „Täter-Opfer-Ausgleich“ ab und werde von allen Beteiligten als „großer Gewinn“ erlebt, so die Expertin.

Für einen „Wandel der Grundlogik von der Strafe zur Wiedergutmachung“ sprach sich die Politikwissenschaftlerin Nicole Lieger aus. Stelle man nach schlimmen Ereignissen als erste Frage nicht jene nach der Schuld, sondern: „Was hilft jetzt?“, bekämen Geschädigte eine Stimme, um eigene Bedürfnisse zu artikulieren, wie auch auf der anderen Seite Verantwortung für die Taten übernommen werden und Selbsterklärung geschehen könne. Es sei wichtig, dass Täter „in die verantwortliche Rolle gehen und sagen: ‚Ich bemühe mich, das wieder gut zu machen‘“, unterstrich Lieger.

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