Sommerweihnacht
Julia Schnizlein über das Loslassen
In vier Tagen ist Weihnachten. „Sommerweihnacht“. Es ist ein alter Name für den 24. Juni, den Johannistag. Genau sechs Monate vor dem eigentlichen Weihnachtsfest feiern wir den Geburtstag von Johannes dem Täufer, der ja laut Bibel ein halbes Jahr älter als Jesus gewesen sein soll. Rund um die „Sommerweihnacht“ werden die Tage wieder kürzer und die Nächte länger – bis zur Wintersonnenwende im Dezember. Weihnachten und Sommerweihnacht hängen zusammen, so wie Jesus Christus und Johannes der Täufer – der Wegbereiter Jesu.
Noch ehe Jesus als erwachsener Mann zu predigen und zu heilen beginnt, ist Johannes bereits als charismatischer Bußprediger aktiv. Er schart Jünger um sich, verkündet die Ankunft eines Heilands und tauft Menschen. Auch Jesus. Mit Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu wird es in der Bibel um Johannes stiller. Er tritt in die zweite Reihe zurück: „Er (Jesus) muss wachsen, ich aber muss abnehmen“, wird Johannes zitiert.
Sich zurückzunehmen, um anderen Platz zu machen und ihnen Raum zur Entfaltung zu geben, ist eine Erfahrung, die sich durchs Leben zieht. Mit der Geburt eines Kindes müssen erwachsene Menschen wieder lernen, ihre eigenen Bedürfnisse zumindest für eine Zeit lang hintanzustellen. Sie müssen sich zurücknehmen, um etwas Neues wachsen zu lassen. Während sich viele Eltern auf dieses Abenteuer heute gerne einlassen, gestaltet sich das Zurücktreten im beruflichen Umfeld oft mühsamer.
Gerade im Alter fällt es vielen schwer, loszulassen und in die zweite Reihe zu treten. Die Vorstellung, das eigene Lebenswerk oder auch nur Verantwortung an einen Nachfolger abzugeben, macht vielen Angst. Es ist die Angst vor Kontrollverlust. Die Angst, an Ansehen einzubüßen. Und die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden. Dabei liegt die Meisterleistung meiner Meinung nach gerade darin, sich selbst immer wieder zurückzunehmen und auch andere zum Glänzen zu bringen. Andere zu befähigen, die Zukunft zu gestalten.
Loslassen zu können ist ein Zeichen von Größe und Reife. Und ich bin sicher, dass derjenige Zukunft gewinnt, der sich nicht zwanghaft an die Gegenwart klammert.
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