Sauerteig
Maria Katharina Moser über einen Anfang im Kleinen
Sommerzeit ist Urlaubszeit. Jedes Jahr stehe ich vor der Frage: Was mache ich mit meinem Sauerteig, wenn ich zwei Wochen lang nicht zu Hause bin? Die Sache ist die: Sauerteig ist eine Art Lebensgemeinschaft von Milchsäurebakterien und Hefepilzen. Eine solche Lebensgemeinschaft residiert in meinem Kühlschrank. Man nennt das Sauerteigansatz. Jede Woche mache ich Sauerteig daraus. Bevor ich den Sauerteig zu Brot verarbeite, nehme ich einen Teil weg, gebe ihn in ein Glas und stelle ihn bis zur nächsten Backaktion in den Kühlschrank. Eine Woche geht das gut. Dann wird der Sauerteigansatz hungrig – er ist ja eine Lebensgemeinschaft von Mikroorganismen. Lebewesen also, und die brauchen Nahrung. Der Sauerteigansatz muss, wenn er nicht verarbeitet wird, mit etwas Mehl gefüttert werden. Unterbreche ich urlaubsbedingt die Nahrungszufuhr zu lange, verhungern die Mikroorganismen – und mein Sauerteig vergammelt.
Sauerteig fasziniert mich. Es braucht nur Mehl, Wasser und Zeit. Diese einfachen Ingredienzen entfalten unglaubliche Wirkung. Davon erzählt auch die Bibel. Im Matthäusevangelium steht folgendes Gleichnis: „Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Scheffel Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.“ Der Sauerteig ist ein Bild für eine verändernde, ansteckende Kraft. Ein Quäntchen genügt, um ein beeindruckendes Resultat zu erzielen: Etwas Sauerteig kann drei Scheffel Mehl durchsäuern. Drei Scheffel Mehl, das ist eine ziemliche Menge, umgerechnet zirka 36 Liter, eine Menge, die an anderen Stellen der Bibel am Beginn einer verheißungsvollen Entwicklung steht. So verwendet Sara, Abrahams Frau, drei Scheffel Mehl für die Bewirtung der Gäste, die ihr das lang ersehnte Kind verheißen. Das Gleichnis vom Sauerteig beschreibt die verheißungsvolle und verändernde Kraft des Reiches Gottes, das klein und unauffällig beginnt.
Was mich noch fasziniert am Brotbacken: Ob und wie das Brot gelingt, ist jedes Mal wieder eine Überraschung. Zwar habe ich mittlerweile eine gewisse Erfahrung mit Brotteig, aber trotzdem weiß ich nie genau, was rauskommt. Ich habe das Ergebnis nie ganz in der Hand und unter Kontrolle.
Beim Sauerteigbrot-Backen kann man zwei Grunderfahrungen machen, die zum Leben dazu gehören: die Erfahrung der Unverfügbarkeit und die Erfahrung von Veränderung, die im Kleinen beginnt. Darüber werde ich Nachsinnen, wenn ich das nächste Brot backe. Nach dem Urlaub.