NGOS: Österreich muss humanitäres Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan starten

 
von Evangelischer Pressedienst

Moser: Besonderer Schutz für gefährdete Frauen „Gebot der Stunde“

Wien (epdÖ) – Zahlreiche namhafte Hilfsorganisationen haben die österreichische Bundesregierung dazu aufgerufen, ein humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan zu starten. Die notwendige Hilfe vor Ort müsse mit der Evakuierung von bedrohten Personengruppen einhergehen. Abschiebungen seien auszusetzen, Asylbescheide müssten schneller ausgestellt werden als bisher. Bei einem gemeinsamen Pressetermin am Dienstag, 24. August, präsentierten Vertreterinnen und Vertreter von Diakonie, Caritas, Amnesty International, Asylkoordination und der afghanischen Flüchtlingsorganisation IGASUS ein entsprechendes Forderungspapier.

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser erinnerte in ihrem Statement an das europäische Wertefundament: „Stehen wir ein für Gleichstellung von Frauen, für den Schutz von Minderheiten, für persönliche Freiheit in der Lebensführung, für das Recht auf Familie, für den Lebensschutz, für Demokratie, für die Menschenrechte?“ Wer diese Fragen bejahe, müsse auch ein humanitäres Aufnahmeprogramm und insbesondere die Zusammenführung von Familien bejahen. Vor allem gehe es um den Schutz von Frauen, die in der Öffentlichkeit gestanden seien: „Frauenrechtsaktivistinnen, Frauen, die gegen Männergewalt aufgestanden sind, Journalistinnen, Richterinnen.“ Ihnen in Europa und in Österreich Schutz zu gewähren, sei auch angesichts der Frauenrechtssituation in Afghanistans Nachbarstaaten ein „Gebot der Stunde“. Was die Rolle von Afghaninnen und Afghanen in der österreichischen Gesellschaft betreffe sehe sie eine “gezielte Desintegrationskampagne” von Seiten politischer Entscheidungsträger. „Wir sehen in der Diakonie, wie sich Menschen jeden Alters um Integration bemühen, obwohl ihnen permanent Steine in den Weg gelegt werden.“

Schwertner: „Hilfe vor Ort darf nicht zum Kampfbegriff werden“

„Wir wissen und sehen live, wie das brutale Terrorregime der Taliban jeden Tag konkreter Gestalt annimmt“, monierte Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Wiener Caritas. Afghanistan stehe zudem vor einer dramatischen Hunger- und Wirtschaftskrise. Die oft beschworene „Hilfe vor Ort“ dürfe nicht zu einem politischen Kampfbegriff werden: „Es braucht rasche Hilfe vor Ort und die Evakuierung von Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind.“ Denn: Maßnahmen vor Ort, wie sie die Caritas in Pakistan anbiete und in Afghanistan selbst vorbereite, würden niemals ausreichen.

Patzelt: „Besser Spiegel von der Wand nehmen“

„Eine Bundesregierung, die die Verfassung in Frage stellt, indem sie weiter über Abschiebungen nach Afghanistan spekuliert, steht knapp vor dem Verfassungsgerichtshof“, betonte Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. Die Europäische Menschenrechtskonvention stehe „eins zu eins“ in der österreichischen Verfassung. Auch wenn es zur Aufnahme von bedrohten Menschen keine völkerrechtliche Verpflichtung gebe: „Wer dieses Gebot nicht einhalten will sollte sich zuhause und im Dienstbüro alle Spiegel von der Wand hängen.“

Aufruf zu schnellem Handeln der Behörden

Sima Mirzai von der Interessengemeinschaft der afghanischen Studierenden und Schüler (IGASUS) appellierte an die Behörden, Familienzusammenführungen zu erleichtern. Viele warteten jahrelang auf eine Entscheidung, der Informationsfluss aus den zuständigen Ämtern sei äußerst mangelhaft. Dass in den österreichischen Medien der Fokus auf Gewalttaten von afghanischen Jugendlichen liege bedaure sie: „Diese Vorfälle sind zu verurteilen. Aber falsch, alle in eine Schublade zu stecken.“ Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich forderte die Behörden und das Bundesverwaltungsgericht zudem auf, Folgeanträge von afghanischen Asylwerberinnen und Asylwerbern „zügig zu erledigen“.

Unterstützt werden die Forderungen von mehr als 30 Organisationen und zivilgesellschaftliche Gruppierungen, darunter neben den oben erwähnten von SOS Mitmensch, der Volkshilfe und den Omas gegen Rechts.

Anhaltende Debatte

Erst am Vortag hatte sich der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) für die Aufnahme besonders gefährdeter Menschen aus Afghanistan ausgesprochen. Bereits in der Vorwoche war der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka dafür eingetreten, „Auslieferungen an ein Terrorregime“ zu stoppen. Nach der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan hatte der österreichische Innenminister Karl Nehammer wiederholt betont, an Abschiebungen von Afghaninnen und Afghanen mit negativem Asylbescheid festhalten zu wollen. Eine Aufnahme von Flüchtlingen schloss er aus und plädierte für deren Unterbringung in der Region.

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