Mit Tränen
„Der Karfreitag ist in dieser Zeit nicht auf einen Tag beschränkt“, schreibt Michael Chalupka.
In diesen Tagen vor Ostern, höre ich die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach. Sie erzählt die Leidensgeschichte Jesu hin zum Kreuz bis ins Grab. Sie ist ganz Passion. In ihr ist kein Platz für Fröhlichkeit und Frühlingsgefühle. Kaum jemals ist sie mir so nahe gegangen wie in diesem Frühling, der vom Leiden der Kinder, Frauen und Männer in der Ukraine überschattet ist. Gottverlassen scheint die verbrannte Erde. Kinder weinen, um ihre Eltern, Frauen, um ihre Männer. Mütter weinen, um ihre Söhne in Kiew und Moskau. Der Karfreitag ist in dieser Zeit nicht auf einen Tag beschränkt.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“, so betet Jesu am Kreuz. Selbst Gottes Sohn fühlt im Augenblick des Todes die Gottverlassenheit. Im Augenblick der Erlösung der Welt, wie wir glauben.
Ganz am Ende der Matthäuspassion, nach der Grablegung Jesu, singt der Chor: „Wir setzen uns mit Tränen nieder.“ Und die letzte Zeile schlägt einen neuen Ton an. Da heißt es auf einmal: „höchst vergnügt schlummern da die Augen ein.“ Da klingt, ganz leise, ein neuer Ton, ein tröstlicher, vielleicht ein hoffnungsvoller, dass nach dem Leid die Auferstehung möglich ist, dass Hoffnung möglich ist. Hoffnung, die nicht naiv auf ein Wunder hofft und das Leid verdrängt, sondern Hoffnung, die die Zukunft nicht der Verzweiflung überlässt. Dem Karfreitag folgt Ostern. Wünschen wir einander: „Frohe Ostern!“, trotz allem!