Medizinethiker Körtner gegen Impflicht, aber für „moralische Verpflichtung“
Regierung müsse Fehler im Krisenmanagement eingestehen
Wien (epdÖ) – Der Theologe und Medizinethiker Ulrich Körtner glaubt nicht an eine von vielen vorweihnachtlich herbeigesehnte „geradezu religiös aufgeladene Erlösung“ durch einen Coronaimpfstoff. Dennoch sagte er im Interview mit der Austria Presse Agentur (APA), dass die Impfung „eine gute Sache ist“. Angesichts von Fragen zur letztendlichen Wirksamkeit, zum Schutz vor Ansteckung und Weitergabe und zur Dauer des Schutzes, ist das ehemalige Mitglied der Bioethikkommission gegen eine „direkte Impfpflicht zum jetzigen Zeitpunkt“. Körtner sieht aber eine „moralische Verpflichtung“.
Selbst wenn die Impfung lediglich Selbstschutz bieten würde, wäre es ein Zeichen von Solidarität, sich selbst durch die Immunisierung als potenziellen schweren Covid-19-Fall mit mitunter „enormen Folgeschäden“ weitgehend aus dem Spiel zu nehmen. Immerhin entlaste jeder Covid-19-Patient weniger auf der Intensivstation das Gesamtsystem. Körtner: „Das ist aber nochmals eine Frage von vernünftiger Aufklärung.“ Sollte sich zeigen, dass man durch eine Impfung auch nachhaltig als Überträger an andere ausfällt – besteht also sterile Immunität – „wird man auch die Frage einer Impfpflicht neu bewerten müssen“, so etwa im Gesundheitsbereich.
Dass weite Teile der Regierung noch immer nicht eingestehen können, dass spätestens ab dem Sommer mit seinen Vorboten einer zweiten Welle auch Fehler gemacht wurden, sei der Stimmung nicht zuträglich. Die Abwesenheit einer Fehlerkultur, die überschießende „Message Control“ in Teilen der Politik und der abweisende Umgang mit Kritik öffne auch extremen, „eigentlich unverfrorenen“ Polemisierern aus dem rechten politischen Spektrum so manche Tür für Agitation gegen bestimmte Gesellschaftsgruppen, Stimmungsmache gegen Impfungen und Beförderung von Testskepsis.
Kritik an Babyelefant und offenen Skiliften
Körtner glaubt trotz all der Corona-Müdigkeit bis hin zur Leugnung und Verschwörungstheorien an eine Chance zum breiten, konstruktiven Umgang mit der Krise über das Vehikel der Eigenverantwortung. „Ich empfinde es als wichtige Aufgabe der Politik, mit guten Argumenten die Eigenverantwortung der Bevölkerung zu stärken und nicht auch den letzten Rest davon zu begraben“, betonte Körtner. Der am Anfang sicher „nett gemeinte“, immer noch omnipräsente Babyelefant „ist im Grunde eine Infantilisierung“ und erzeuge mittlerweile auch viel Abneigung. „Ich denke, hier ist auch kommunikationstechnisch in den letzten Monaten etliches schlecht gelaufen.“ Es brauche hier weniger Bevormundung sondern stimmige Botschaften.
Die aktuell bevorstehende Öffnung der Skilifte im harten Lockdown „erschließt sich mir nicht“, so Körtner, der hier sehr greifbare „Wertungswidersprüche“ ortet. Dabei sei es durchaus auch legitim, wirtschaftliche Interessen hervorzuheben, denn ein gutes Gesundheitssystem müsse man sich auch erstmal leisten können. Bei einem Sport mit hohem Verletzungsrisiko jetzt zwei Augen zuzudrücken, sei trotzdem sehr fragwürdig, wenn man auf die Krankenhauskapazitäten blickt. Hier passe einfach einiges nicht zusammen.
Applaus für Pflegeberufe schon lange verhallt
Das treffe leider auch auf den Schutz der Risikogruppen – allen voran in Alters- und Pflegeheimen – zu, so der Ethiker. Vielfach werde hier noch immer zu wenig getestet, auch weil es das nötige Personal dafür einfach nicht gibt und Ressourcen „auf Kante genäht sind“. Auf diesen Bereich „müsste viel mehr der Fokus gelegt werden“, betonte Körtner, der sich eine hoffentlich noch während der Krise einsetzende öffentliche Debatte zur zukünftigen Ausstattung des stationären Pflegebereichs mit seinen teils immer noch zu großen Strukturen wünscht: „Auch der Applaus für die Pflegekräfte ist schon lange verhallt.“