„Mechaye Hametim“: Gedenken an Novemberpogrome vor 86 Jahren
Gottesdienste am 9. und 10. November, am 11. November Film „Vor der Morgenröte“
Wien (epdÖ) – Zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Novemberpogrome des Jahres 1938 gegen die jüdische Bevölkerung in Wien veranstalten auch in diesem Jahr wieder mehrere christliche und jüdische Organisationen gemeinsam die „Bedenktage“-Reihe „Mechaye Hametim – Der die Toten auferweckt“. Traditionell ist auch heuer der ökumenische Gottesdienst am 9. November, dem Jahrestag der Novemberpogrome, in der Wiener Ruprechtskirche (1010 Wien, Ruprechtsplatz 1) die zentrale Veranstaltung. Predigen wird in dem Gottesdienst, der um 17 Uhr beginnt, Pfarrerin Elke Petri aus der Pauluskirche in Wien-Landstraße. Nach dem Gottesdienst findet wieder ein Schweigegang zum Mahnmal am Judenplatz statt.
Die Gräuel der Novemberpogrome 1938 jähren sich heuer zum 86. Mal. In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des Furors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden wurden verhaftet, rund 4.000 von ihnen wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.
Die Generalsekretärin des Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus, Hannah Lessing, spricht am 6. November um 18 Uhr bei den Theologischen Kursen (Stephansplatz 3) über Erfahrungen in den drei Jahrzehnten des Bestehens des Fonds. 30.000 Überlebende haben ihre Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus erfahren, seit der Nationalfonds 1995 geschaffen wurde. Ihre Schicksale gelten als ein Teil österreichischer Geschichte, „mit Antworten auch für Fragen der Gegenwart“, wie es in der Ankündigung des Vortrags heißt.
Vor dem Vortrag Lessings gibt es bei den Theologischen Kursen ab 16 Uhr einen Vortrag mit Musik zum Thema „Glaube und Unglaube bei Leonard Cohen“. Referent ist der Theologe und Pastoralassistent Franz-Josef Zeßner-Spitzenberg, für die Musik sind Marlene Ecker (Cello) und Karl Wagner (Keyboard) zuständig.
Aufarbeitung in evangelischer Pauluskirche
Am 10. November lädt das Team der evangelischen Pauluskirche in Wien-Landstraße (1030 Wien, Sebastianplatz 4) mit Pfarrerin Petri um 17 Uhr zu einem Gottesdienst unter dem Motto „Bilder, die wir nicht unges(ch)ehen machen können“. In der Pauluskirche finden sich 15 vom NS-Künstler Rudolf Böttger noch nach dem Zweiten Weltkrieg gestalteten Kirchenfenster mit judenfeindlicher Ikonografie. Im Oktober 2023 wurden die Fenster mit farbigen Stoffbahnen, die von Jugendlichen der Pauluskirche gestaltet wurden, verhüllt. Die Fenster selbst stehen mittlerweile zur Disposition und sollen in einem künftigen Schritt ausgetauscht werden.
In der Herbst-Ausgabe des „Dialog – DuSiach“, der Zeitschrift des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, wird mittels Stimmen aus der Kunstgeschichte, der Kirchengeschichte und der evangelischen Kirchengemeinde im dritten Wiener Gemeindebezirk der Aufarbeitungsprozess der bedenklichen Kirchenfenster mit ihrem antisemitischen Bildprogramm in der Evangelischen Pauluskirche dokumentiert und eingeordnet. Präsentieren wird die Publikation im Rahmen des Gedenkgottesdienstes der Kirchenhistoriker Leonhard Jungwirth vom Netzwerk „Memory Lab – evangelisches Erinnern“.
Die Katholische Hochschulgemeinde Wien lädt ebenfalls am Sonntag, 10. November, um 14 Uhr zu einer Führung durch den jüdischen Friedhof in Wien-Währing ein. Der jüdische Friedhof in Währing wurde ab 1938 nicht mehr genutzt, und nach dem Zweiten Weltkrieg schritt sein Verfall voran. Erst in den letzten Jahren wurden Sanierungsarbeiten durchgeführt. Ein Besuch dieses Areals gebe auch einen kleinen Einblick in die Geschichte des Judentums in Wien, heißt es dazu in der Einladung. Weitere Gedenkspaziergänge durch das jüdische Wien – veranstaltet vom Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit und dem ASH-Forum – gibt es am 6. November um 15 Uhr in Graz und am 16. November um 11 Uhr in Wien. „Im Gedenken an die Novemberpogrome 1938 und gegen jede Art von Antisemitismus“, wie es in der Ankündigung heißt, führt der Grazer Gedenkgang vom Gebäude Radetzkystraße 8 durch zahlreiche Straßen der steirischen Landeshauptstadt. Treffpunkt des Wiener Gedenkspaziergangs am 16. November ist bei Praterstern 3 an der Ecke Praterstern / Nordbahnstraße, 1020 Wien. Der Weg führt durch den 2. sowie den 20. Wiener Gemeindebezirk.
Filmabend im Wiener Votivkino
Im Wiener Votivkino (1090 Wien, Währinger Straße 12) wird am Montag, 11. November, um 19.30 Uhr der Film „Vor der Morgenröte“ (A/D/F 2018) gezeigt. Stefan Zweig zählt zu den wichtigsten und erfolgreichsten österreichischen Autoren zwischen Fin de Siècle und Shoah. Die deutsche Regisseurin Maria Schrader nähert sich in „Vor der Morgenröte“ dem Literaten in den Jahren bis zu dessen gemeinsamen Suizid mit seiner Frau Lotte 1942 im brasilianischen Exil. Der Titel – ein Zitat aus seinem Abschiedsbrief – beschreibt die Situation Europas, als die NS-Barbarei noch längst nicht niedergerungen war und an der das Ehepaar verzweifelte. In sechs Episoden zwischen 1936 und 1942 erzählt der Film vom langsamen Gleiten des Schriftstellers, der von Josef Hader gespielt wird, in existenzielle Ausweglosigkeit. Im Anschluss an die Vorführung gibt es ein Gespräch über den Film mit Klemens Renoldner, Gründungsdirektor des Stefan-Zweig-Archivs der Universität Salzburg.
Ein detailliertes Programm über alle „Mechaye Hametim“-Veranstaltungen ist auf der Webseite des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu finden. „Mechaye Hametim“ ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Gemeinde St. Ruprecht, dem Albert-Schweitzer-Haus-Forum für Zivilgesellschaft, der Evangelischen Hochschulgemeinde Wien, der Wochenzeitung „Die Furche“, des Forums „Zeit und Glaube“, des Katholischen Akademiker/innenverband der Erzdiözese Wien, der Katholischen Aktion Österreich, der Katholischen Hochschuljugend Wien, dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit sowie der Theologischen Kurse.
„Erinnern und Verantwortung“: Olivier Dantine spricht in „Was ich glaube“
Darüber hinaus spricht der Superintendent der evangelischen Diözese Salzburg/Tirol, Olivier Dantine, anlässlich des Gedenkens an die Novemberpogrome 1938 am Sonntag, 10. November, in „Was ich glaube“ zum Thema „Erinnern und Verantwortung“ auf ORF 2. „Gerade angesichts des vor allem im letzten Jahr wieder erstarkenden Antisemitismus ist eine Beschäftigung mit der Geschichte des Antisemitsmus in unserer Kirche wichtig, um sich glaubhaft am Einsatz gegen Antisemitismus beteiligen zu können“, betont Dantine. Beginn der Fernsehsendung ist um 16.55 Uhr.