Körtner: Können selbst zu Heiligen werden
Reformierter Theologe über das evangelische Verständnis von Heiligen
Wien (epdÖ) – In einem Gastkommentar für die Wochenzeitung „Die Furche“ (Ausgabe vom 24.10.) befasst sich der reformierte Theologe Ulrich Körtner mit Heiligen aus evangelischer Sicht. Unter dem Titel „Allein Christus?“ weist Körtner gleich zu Beginn darauf hin, dass der protestantischen Theologie die Verehrung von Heiligen fremd sei. Die „Gemeinschaft der Heiligen“ verwirkliche sich nach Luther im allgemeinen Priestertum aller Gläubigen.
Gleichwohl würden berühmte evangelische Persönlichkeiten wie Albert Schweitzer, Katharina von Bora, Martin Luther King, Dorothee Sölle und Dietrich Bonhoeffer von manchen Kreisen „wie Heilige verehrt“, auch wenn es sich dabei nicht „um Heilige im strikten Sinn“ handle.
Heiligenverehrung als bedürfnisorientierte Volksfrömmigkeit
„Martin Luther lehnte die Heiligenverehrung seiner Zeit als eine bedürfnisorientierte Volksfrömmigkeit ab, die gegen das 1. Gebot verstößt und die alleinige Heilsmittlerschaft Christi in Frage stellt“, erinnert der reformierte Theologe. Besonders scharf fiel die Kritik an der katholischen Heiligenverehrung bei Ulrich Zwingli, dem Reformator von Zürich, und Johannes Calvin, dem Genfer Reformator, aus. „Calvin hatte für die Heiligenverehrung nur beißenden Spott übrig“, weiß Körtner.
Moderatere Töne schlug wiederum das Augsburger Bekenntnis von 1530 an. Körtner: „Zwar lehnt auch diese Bekenntnisschrift die Heiligenverehrung und Anrufung derselben ab, empfiehlt aber in Artikel 21 das Gedenken der Heiligen. An ihnen könne man erkennen, wie Menschen durch den Glauben geholfen worden sei. Sie werden als Zeugen für die rechtfertigende Gnade Gottes gewürdigt, welche auch als Vorbild dienen können.“ Darin gebe es heute ökumenische Annäherungen. Der Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien widmet sich in seinem Artikel auch der Verehrung von Dietrich Bonhoeffer, „bisweilen freilich auch um den Preis, die Unzulänglichkeiten der Verehrten abzuschatten oder gar auszublenden“.
Heilig sein als „ein unabschließbares Heiligwerden“
Ein evangelisches Verständnis von Heiligkeit und heiligem Leben kenne keinen grundlegenden Unterschied zwischen besonderen Heiligen und den übrigen Christen, betont Körtner. Im Neuen Testament würden alle Glaubenden unterschiedslos als Heilige bezeichnet. „Die Gemeinschaft der Heiligen verwirklicht sich nach Luther im allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, das in der Taufe gründet.“
Heiligkeit sei keine menschliche Eigenschaft, „sondern ausschließlich ein Gottesattribut“, so Körtner weiter. Im biblischen Sinne bedeute heilig sein freilich „ein unabschließbares Heiligwerden“. Es sei keine menschliche Leistung, „sondern unverfügbare Gabe und Gnade Gottes“. In diesem Sinne hätten die Reformatoren den Begriff der Heiligung gebraucht. „Das ganze Leben der Christen bedeute ein beständiges Absterben des alten und ein Lebendigwerden des neuen Menschen, zu dem wir nach Gottes Willen werden sollen.“ Auf dem Weg des Glaubens könne das Lebenszeugnis von Menschen bestärken, die ihren Glauben überzeugend und doch unaufdringlich gelebt haben, zum Beispiel in der Familie oder im Freundeskreis. „Im besten Fall können wir selbst zu Heiligen werden, die die Last des anderen tragen und einander im Glauben ermutigen und stärken“, attestiert der reformierte Theologe abschließend.
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