Freizeit mit Mehrwert
Rund 800 Kinder und Jugendliche sind auf Freizeiten der Evangelischen Jugend unterwegs
Durch die Burg Finstergrün geistern oder doch lieber am Ossiachersee rudern und die Burgruine Landskron entdecken? Vielleicht einmal mit einem Hausboot im Elsass über Seen und Flüsse tuckern? Wie wär‘s mit Sonnenuntergang auf der Nordseeinsel Sylt? Oder auf Sizilien? Das Angebot an altersspezifischen Sommerfreizeiten, das die Evangelische Jugend (EJ) jedes Jahr auf die Beine stellt, ist breit. Auch heuer sind wieder rund 800 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Österreich und in Europa unterwegs und verbringen gemeinsam einen Teil ihrer Ferien.
Fixstarter im Angebot ist dabei die Burg Finstergrün im Salzburger Lungau, der „Klassiker“, seit es Freizeiten im evangelischen Bereich gibt. Aber was im allgemeinen Tourismus heuer bemerkbar ist, zeichnet sich auch in der Nachfrage bei den Sommerfreizeiten ab, beobachtet Joachim Hoffleit von der Evangelischen Jugend. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie seien die Auslandsdestinationen besonders stark gebucht, und – ebenfalls allgemeiner Trend – die Kurzfristigkeit habe zugenommen, „die Last-Minute-Mentalität spüren wir auch hier“. Das stelle die Veranstalter vor große Herausforderungen, da die Planungen oft mit langem Vorlauf erfolgen müssten.
Die Freizeiten werden auch kürzer. Erinnern sich manche Leserinnen und Leser vielleicht noch an eigene dreiwöchige Sommerfreizeiten, wurden es bald maximal zwei Wochen Ferienspaß, inzwischen liegt die durchschnittliche Dauer der Angebote bei einer Woche. Um auf diese Entwicklungen zu reagieren, bietet die Evangelische Jugend in der Steiermark seit einiger Zeit sehr erfolgreich Tagesfreizeiten an. „Begonnen hat es mit der Nachfrage von Eltern, die ihre Kinder nicht auf eine klassische Freizeit mitschicken wollten, oder sich die Kinder selber noch nicht trauten, mitzufahren“, erzählt Dominik Knes, Jugendreferent der EJ in der Steiermark. Entwickelt wurde eine „Freizeit ohne Koffer“: Sie dauert fünf bis sechs Tage, auch Thema und Aktivitäten sind durchaus vergleichbar mit üblichen Sommerfreizeiten, nur mit dem Unterschied, dass die teilnehmenden Kinder jeden Tag um 8 Uhr in der Früh kommen und um 17 Uhr wieder nach Hause fahren. Bei dem 7-tägigen Angebot gibt es eine Übernachtung inklusive, „gewissermaßen zum Eingewöhnen für größere Freizeiten an einem anderen Ort“.
Angeboten werden die Tagesfreizeiten vor allem in Graz und im Ennstal, „dort, wo viele Evangelische sind“. Gleichzeitig ist Knes wichtig, dass es auch Angebote abseits von Ballungsräumen gibt. Eine Antwort darauf sind die neuen „Mikro-Freizeiten“, die im Vorjahr mit einer Freizeit der Pfarrgemeinde Hartberg gestartet sind. Die Evangelische Jugend macht hier die Organisation und den Plan, die Pfarrgemeinde lädt Kinder ein und stellt den Ort zur Verfügung. Mitarbeitende kommen sowohl von der EJ Steiermark als auch von der Gemeinde vor Ort. Meistens dauern die Mikro-Freizeiten drei Tage, auch die Zahl der Teilnehmenden ist mit z.B. 10 deutlich kleiner als bei den üblichen Sommerfreizeiten. „Wir haben sehr positive Erfahrungen damit gemacht“, berichtet Dominik Knes, „so eine Mikro-Freizeit bewegt gerade in einem Gebiet, wo es wenige Evangelische gibt, sehr viel“. Das Angebot erfahre hohe Wertschätzung, für die Pfarrgemeinde kommen oft neue Mitarbeitende hinzu, die sich auch nach der Mikro-Freizeit aktiv einbringen wollen. „Wir haben uns hier eben angepasst an die evangelische Situation, kleinteiliger und in den jeweiligen Regionen zu arbeiten statt Mega-Veranstaltungen wie in den 1970er Jahren mit 100 Kindern anzubieten“, sagt Knes.
Zunehmend spielt auch der Nachhaltigkeitsgedanke bei der Planung und Gestaltung der unterschiedlichen Freizeitangebote eine größere Rolle. „Vor allem in den letzten zwei Jahren wird bei uns verstärkt nachgefragt, ob wir auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit achten“, so Joachim Hoffleit. Heuer beteiligt sich auch eine Gruppe aus Österreich am internationalen „Climate Sail 2022“, die Reise war ebenfalls über das EJ-Angebot buchbar. Anfang August geht es bei dem internationalen Jugend-Klima-Treffen zu Land und zu See von Hamburg aus auf einem Segelboot bis an die Ostsee. Dort treffen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Österreich auf Gruppen aus Deutschland, Finnland und Estland.
Generell brauche es verstärkt zugkräftige „Highlights“ im Programm, stellen die Veranstalter fest: Der schmale Wehrgang auf der Burg als spannende Foto-Location, Raften auf der Mur, Surfen auf Sylt oder Sky-Diving auf Sizilien: Jedenfalls müsse die – natürlich altersgemäße – Action „Instagram-tauglich“ sein, damit die Fotos davon gleich in den sozialen Netzwerken geteilt werden können. Die Betreuungspersonen, so Hoffleit, erlebten immer wieder, dass Kinder gewissermaßen „vorbereitet“ zur Freizeit kommen, weil sie meinen, auch hier unter Druck und in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen zu stehen. „Doch genau diesen Leistungsdruck wollen wir auf den Freizeiten nehmen“, unterstreicht Hoffleit, „hier heißt es: raus aus dem Alltag“.
Gestiegen seien auch die Ansprüche der Eltern. Fragen, ob es während der Freizeit auch jederzeit WLAN gebe, ob das Handy abgenommen werde oder das Kind jederzeit zu Hause anrufen könne, seien durchaus nicht selten. Auch Themen des Komforts würden anders als etwa vor zehn Jahren gerne vorher abgeklärt. Heute treffen die Veranstalter manchmal auf Erwartungshaltungen wie „dass mein Kind nicht oben im Stockbett schlafen darf“ und dass täglich ein Foto zur Dokumentation schicken müsse oder Ähnliches. Jedenfalls sei, so Hoffleit, ein Trend „hin zu einer voll kalkulierbaren Vollkasko-Mentalität“ erkennbar, gleichzeitig seien viele andere froh, dass ihr Kind auf einer Freizeit „Abenteuer, Freiheit und Selbständigkeit erlebt“.
Während viele Freizeiten- und Gästehäuser in den letzten Jahren entweder schließen oder massiv in einen zeitgemäßen Komfort mit kleinteiligeren Zimmern investieren mussten, bemerkt die Wiener ehrenamtliche Mitarbeiterin Brita Schulze, dass auch ein ganz anderer Ansatz seit Jahren, sogar Jahrzehnten, Erfolg haben kann. Schulze leitet gerade eine Sommerfreizeit im Haus Landskron am Ossiachersee (Ktn), als die SAAT sie am Telefon erreicht. Das 1930 erbaute große Holzhaus am Fuß der Ossiacher Tauern ist geprägt vom „Stil der Einfachheit“. Es gibt dort drei Schlafsäle mit jeweils rund 25 Betten, einen Speisesaal und viele Möglichkeiten für Sport- und Naturerfahrungen. Schulze hat als Leiterin einer Sommerfreizeit eine Biografie, die man bei Mitarbeitenden häufig antrifft: Bereits als Kind war sie regelmäßig auf Sommerfreizeiten in Landskron, mit 18 dann als Mitarbeiterin und ab 20 als verantwortliche Leiterin. Die Erfahrungen bei den Sommerfreizeiten haben auch ihren beruflichen Weg geprägt: „Ich habe hier mein eigenes Ding entdeckt; wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre ich auch nicht da, wo ich jetzt beruflich stehe“, betont die Lebens- und Sozialberaterin, die auch als Lerncoach und in der psychosozialen Arbeit tätig ist.
Wie bei vielen, die einmal die Atmosphäre von Burg Finstergrün kennenlernen konnten, ist es auch bei Schulze der spezielle Ort in Landskron, der eine Sommerfreizeit prägt. Die einfachen Bedingungen, wie etwa die Situation des Schlafsaals, förderten, so Schulze, das Gemeinschafts- und Verantwortungsgefühl füreinander: „Jüngere müssen zuerst ins Bett, die Größeren, die später kommen, lernen ruhig zu sein und Rücksicht zu nehmen“. Die Altersspanne der Teilnehmenden ist in Landskron breit: Sie reicht von 6- bis zu 18-Jährigen. „Kleinere lernen von den Größeren, es ist oft beeindruckend, wie umsichtig sich die Größeren um die Kleineren kümmern“, erlebt sie in der rund 35 bis 40 Personen umfassenden Gruppe. Generell ist es das Gemeinschaftsgefühl, das für Schulze den Mehrwert von Freizeiten ausmacht: „Kinder und Jugendliche erfahren hier Toleranz, entwickeln Gefühle dafür, was es bedeutet, Teil einer Gemeinschaft zu sein, dass man nicht nur Individuum ist, sondern Teil von etwas Größerem“. Zugleich steige in der Gruppe – anders als z.B. in der familiären Situation – die Bereitschaft zur Akzeptanz von Regeln, etwa was die Handynutzung betrifft, „weil‘s jeder macht, wird es nicht hinterfragt“.
Nicht nur die Evangelische Jugend veranstaltet Sommerfreizeiten, manche Pfarrgemeinden haben ebenfalls den Mehrwert von Gemeindefreizeiten erkannt. Vor 20 Jahren hat etwa die Pfarrgemeinde Mödling (NÖ) mit Jugendfreizeiten in Kroatien begonnen, inzwischen gibt es jedes Jahr zusätzlich eine Kinder- und eine Familienfreizeit, die in Österreich stattfinden. „Reale Abenteuer sind auch heute noch immer extrem spannend für junge Menschen“, weiß Pfarrer Markus Lintner, der selbst mit vielen Freizeiten großgeworden ist. Junge Menschen, so der Pfarrer, erlebten dort Kirche auf eine „nachhaltige, sympathische und glaubwürdige Weise“. Freizeiten versteht er zudem als Teil des Gemeindeaufbaus. Andachten beim Lagerfeuer am Meer seien dabei zu Fixpunkten geworden, die auch die Jugendlichen vermissen würden. „Wenn junge Menschen diese positive Erfahrung machen, hat das nachhaltige Effekte für ihre Beziehung zur Kirche“, ist Lintner überzeugt. Gemeinsam mehrere Tage miteinander zu verbringen und die Gemeinschaft zu spüren, hätte außerdem noch einen anderen Effekt: „Die Freundschaften, die hier entstehen, halten manchmal ein ganzes Leben.“
Thomas Dasek
Weitere Informationen: www.sofrei.at
Dieser Beitrag ist in der August-Ausgabe der evangelischen Zeitung „SAAT“ erschienen. Die SAAT können Sie um 32 Euro pro Jahr auf epv-evang.at abonnieren.