Eine glückliche Kindheit
Michael Chalupka über den kindlichen Blick auf die Welt
Klosprüche gehören zum kulturellen Erbe der Menschheit. Die ältesten, die man kennt, sind bei den Ausgrabungen in Pompeij gefunden worden. Damit es würdiger klingt, nennt man sie Latrinalia.
Unlängst in einem Beisl ist mir ein Spruch an einer Toilettentür aufgefallen, der nicht so ganz zwischen die anderen Sprüche wie „Fritzi liebt Tina“ oder die einschlägigen Zeichnungen gepasst hat. „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben“, stand da zu lesen. Ein doppelt paradoxer Satz. Zum einen liegt die Kindheit in der Vergangenheit und war glücklich, weniger glücklich oder einfach nur furchtbar. Zum anderen suggeriert der Satz, dass die Kindheit noch vor uns liegen könnte – oder zumindest die Sicht darauf.
Der Satz erinnert mich an den Ausspruch Jesu: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“ Es ist nie zu spät, noch einmal zum Kind zu werden, das heißt, die Welt mit neugierigen und staunenden Kinderaugen zu betrachten. Gerade in Zeiten wie diesen, die uns als Erwachsenen alles abverlangen, tut es gut, ab und zu den kindlichen Blick einzunehmen.
Inzwischen habe ich gelernt, dass der zitierte Klospruch entweder von dem Psychotherapeuten Milton H. Erickson stammt oder vom berühmten Schriftsteller Erich Kästner. Doch da er sich nun auch an Klotüren findet, ist er wohl in das Repertoire ewiger Weisheiten der Menschheit eingegangen.