Der Tintenklecks
Michael Chalupka über Luther und den Teufel
Eine der berühmtesten Legenden, die den Reformator Martin Luther umranken, ist die, dass er in seiner Stube auf der Wartburg vor 500 Jahren ein Tintenfass nach dem Teufel geworfen habe. In Luthers Schriften findet sich nichts darüber. Doch schon 40 Jahre nach seinem Tod wurde der Tintenfleck staunenden Besuchern der Wartburg gezeigt. Er wurde dann wohl immer wieder erneuert, bis die Denkmalschützer sich gegen solch eine Geschichtsverfälschung aussprachen. Seit mehreren Generationen ist er also nicht mehr zu sehen. Und doch erzählen viele Besucherinnen der Wartburg, dass sie ihn gesehen hätten. Die Geschichte ist einfach zu schön.
Wie jede Legende enthält aber auch die vom Tintenfleck einen wahren Kern. Luther schrieb viel über seine Begegnungen mit dem Teufel. Ganz allein in seinem Versteck auf der Wartburg, auf die er nach der Verurteilung durch den Kaiser fliehen musste, ging es ihm nicht gut. Er hatte allerlei körperliche und psychische Leiden und konnte das nur in der Sprache seiner Zeit ausdrücken.
Luther befreite sich selbst von diesen Qualen – nicht durch eine Tintenwurf, sondern indem er begann, das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. 1524 schrieb er: „Der Teufel achtet meinen Geist nicht so sehr wie meine Sprache und Feder in der Heiligen Schrift.“ Der Tintenklecks in der Lutherstube ist nicht mehr zu sehen, Luhers Übersetzung der Bibel kann man aber auch heute noch mit Gewinn lesen.