Der Morgenstern
Michael Chalupka über einen Tröster in der Nacht
Ein Albtraum hat mich aus dem Schlaf geschreckt. Um 5 Uhr 17 um genau zu sein. Zu erschrocken, um mich einfach wieder in die Kissen zu kuscheln, habe ich aus dem Fenster in den morgendlichen Nachthimmel geschaut. Der Morgenstern hat freundlich zurückgestrahlt. Einer der wenigen Vorteile der Coronazeit, wenn nicht gar der einzige, ist es ja, dass die Sterne am Nachthimmel durch den geringeren Flugverkehr besser zu sehen sind. Nun ist der Morgenstern kein Stern, sondern einer der Planeten. Derzeit ist es die Venus, die uns die Sonne ankündigt. Am Abend ist der Jupiter zu sehen.
Der Morgenstern hat die Dichter angeregt. Jochen Klepper hat ihn 1937 in seinem Gedicht „Weihnachtslied“ besungen. In der ersten Strophe heißt es: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern. Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
Die Frau Jochen Kleppers war geborene Jüdin. Als ihre Tochter und sie kurz vor der Deportation standen, nahm sich die Familie 1942 das Leben. Die Familie Kleppers hatte also jeden Grund zu Angst und Pein. Das Lied, geschrieben von einem, der im Leben untröstlich war, wird in den Gottesdiensten zu Weihnachten gesungen und spendet immer noch vielen, die in der Nacht weinen müssen, Trost. Und seh‘ ich den Morgenstern, tröstet es auch mich nach dem Schrecken der Nacht.