Den Mantel des Schweigens lüften

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über die Trauer um „Sternenkinder“

„Wir werden wie jedes Jahr ihren Geburtstag feiern“, sagen Katja und Andreas. Die Kerzen, die Katja, Andreas und ihre drei Kinder an Lottas siebtem Geburtstag anzünden werden, stecken nicht auf einer Torte. Sie stehen an einem Grab. Lotta starb einen Tag nach ihrer Geburt. Und doch ist Lotta Teil der Familie. Als Sternenkind.

Sternenkinder – so nennt man Kinder, die vor, bei oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Ein Thema, über das wenig gesprochen wird. Der internationale Gedenktag für Sternenkinder am 15. Oktober will dem Thema Raum geben. Das möchte ich auch mit dieser Kolumne. Denn für Eltern von Sternenkindern ist es wichtig, dass der Mantel des Schweigens gelüftet und ihre Geschichten erzählt werden.

Ich selbst habe mich vor knapp 20 Jahren zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigt. An das Gespräch, das ich damals mit Sonja geführt habe, erinnere ich mich, als wäre es letzten Monat gewesen. Sonja war 1992 mit Drillingen schwanger. Die Kinder kamen an einem Vormittag zur Welt, am Nachmittag durfte Sonja sie erstmals sehen. Als sie bei Robert am Bettchen stand und seine Hand hielt, erklärte ihr eine Krankenschwester, sie solle sich lieber um die anderen zwei Kinder kümmern. Die würden sie mehr brauchen, der hier werde es sowieso nicht schaffen. Robert starb am Tag nach seiner Geburt. Die Eltern konnten sich zwar im Krankenhaus von ihm verabschieden, doch es gab kein Begräbnis. Robert wurde im Sarg eines Fremden beigelegt. Sonja und ihr Mann wissen nur, auf welchem Friedhof Robert begraben liegt, aber nicht in welchem Grab. Dasselbe passierte mit Alexander. Er wurde fünf Monate alt. Auch er wurde in einem Sarg beigelegt.

Heute wird das Gott sei Dank nicht mehr praktiziert. Das Bewusstsein ist gewachsen, dass es Möglichkeiten, Abschied zu nehmen, und Orte des Gedenkens für Sternenkinder braucht. Nicht nur für die Eltern, auch für Geschwister. „Ich rede öfter mit meinem Sohn Christian über seine verstorbenen Brüder Robert und Alexander“, hat mir Sonja erzählt. „Das ist ganz wichtig, auch für ihn, ein Kind möchte wissen, wie seine Brüder waren und was passiert ist.“

Für die Kinder von Katja und Andreas ist ihre Sternenschwester Lotta selbstverständlicher Teil der Familie. „Wenn Felix, der Älteste, danach gefragt wird, hat er ‚drei Schwestern, aber eine ist schon im Himmel‘“, sagt Katja. Es habe Zeit gebraucht und Menschen, die nicht sofort Antworten hatten, sondern ihrer Trauer Raum gelassen und mitgetrauert haben, sagen Katja und Andreas. „Wir leben inzwischen mit Lotta, ohne dass die Trauer um sie unser Leben bestimmt.“

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