„Das Ganze im Blick haben statt Einzelinteressen“
Netzwerk „Miteinander für Europa“ lud zur Diskussion im Vorfeld der EU-Wahlen
Wien (epdÖ) Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker mahnt von den politischen Akteuren einen fairen und konstruktiven EU-Wahlkampf ein. Er erwarte sich von allen wahlwerbenden Parteien, „dass sie in sachlicher Weise die kontroversen Themen diskutieren, dass sie zu Kompromissen bereit sind und immer Europa als Ganzes im Blick haben statt nationale Einzelinteressen oder gar nur Interessen einzelner Teile der Bevölkerung vertreten“. Polarisierungen und Europaskepsis würden zunehmen und auch auf politischer Ebene stärker, zeigte sich der Bischof im Vorfeld der anstehenden Europawahlen besorgt. Das würde bedeuten, dass Europa nicht stark genug sein werde, um die anstehenden großen Herausforderungen zu bewältigen.
Der Bischof äußerste sich am Donnerstagabend am Rande einer Podiumsdiskussion im Haus der Europäischen Union, zu der das ökumenische Netzwerk „Miteinander für Europa“ geladen hatte. Als Herausforderungen, die von einzelnen Staaten längst nicht mehr allein bewältigt werden könnten, nannte Bünker im Rahmen der Diskussion den Klimawandel, Migration, Digitalisierung oder soziale Fragen.
Bünker unterstrich weiters, dass die religiöse Landschaft Europas von großer Vielfalt geprägt sei. Ein Drittel der Europäer seien römisch-katholisch, ein weiteres Drittel sei orthodox und im restlichen Drittel befänden sich die Evangelischen, Muslime oder auch jene Menschen ohne religiöses Bekenntnis. Und letztere seien die am stärksten wachsende Gruppe. Neben der religiösen Vielfalt zeichne den Kontinent aber genauso eine kulturelle oder sprachliche Vielfalt aus. Entscheidend für die demokratische Qualität eines zusammenwachsenden Europas werde der Umgang mit Minderheiten sein, zeigte sich der Bischof überzeugt.
Der Wiener Bezirksrat Roman Zeller, der bei den EU-Wahlen für die SPÖ kandidiert, wollte sich vor allem für eine Stärkung der sozialen Säule der EU einsetzen. Die Union sei noch zu stark allein von wirtschaftlichen Interessen geprägt. Außerdem brauche es dringend mehr Engagement bzw. Investitionen in Bildung. Das sei auch die beste Präventionsmaßnahme gegen den zunehmenden Rechtsextremismus bzw. auch Antisemitismus, so Zeller.
Friedhelm Frischenschlager, u.a. Ex-Verteidigungsminister von 1983-86, und aktuell NEOS-EU-Kandidat, warnte vor einem Rückfall Europas in den Nationalismus. Die Europäische Union brauche seiner Meinung nach ganz im Gegenteil mehr politische Macht. Freilich, diese Macht müsste dann auch besser kontrolliert werden. Deshalb plädiere er für eine europäische Verfassung, „mit klaren Strukturen und rechtsstaatlichen Mechanismen“. Er sei zuversichtlich, so Frischenschlager, dass sich das europäische Projekt positiv entwickeln wird, „auch wenn wir uns noch einige Jahre auf einer Rumpelstrecke befinden werden“.
Ähnlich wie Frischenschlager warnte auch der Wiener Grün-Politiker Nikolaus Kunrath vor dem zunehmenden Nationalismus und forderte eine europäische Verfassung. Was ihn besonders ärgere: „Wenn hier im Land auf ‚die dort in Brüssel‘ geschimpft wird, die an allem schuld sind.“ Dem hielt Kunrath entgegen: „Brüssel sind wir alle.“ Jeder Bürger Europas müsse sich mitverantwortlich fühlen für den Kontinent, so Kunraths Appell, der von allen Diskutanten geteilt wurde. Gerade in diesem Punkt könnten und müssten die Kirchen einen wesentlichen Beitrag leisten, so Bischof Bünker.
Kunraths Forderung nach mehr gesamteuropäischem Engagement im Klimaschutz wurde auch vom ÖVP-Europaabgeordneten Lukas Mandl aufgegriffen und bekräftigt. Auch wenn der Anteil der EU an der Weltbevölkerung nicht einmal mehr sieben Prozent ausmachten, müsse die EU klare Zeichen beim Klimaschutz setzen. Zudem mahnte der Europaabgeordnete mehr europäischen Zusammenhalt gegen Spaltungsersuche von außen ein, kämen diese von Ost oder West. Mandl plädierte zudem auch für wesentlich mehr europäische Unterstützung für Afrika, um die Lebensqualität vor Ort zu heben und die Migration zu bremsen. EU-intern sprach er sich für mehr Freiheiten und Entfaltungsspielraum aus. „Wir müssen nicht alles so stark regeln“, so Mandl.
Die Diskussion am Donnerstagabend war der Schlusspunkt einer mehrteiligen Veranstaltungsreihe, mit der die Initiative „Miteinander für Europa“ inhaltliche Akzente im Vorfeld der Europawahlen setzen wollte. In vier Themenabenden zu Bildung, Antisemitismus, Migration und Soziales wurden grundlegende Fragen diskutiert, die am Donnerstag nochmals aufgegriffen wurden. Den Ehrenschutz über das Projekt hatten Bischof Bünker und Kardinal Christoph Schönborn über.
Der spirituelle Schlusspunkt der Veranstaltungsreihe wird erst am Sonntag, 5. Mai, um 10 Uhr in der Lutherischen Stadtkirche (Dorotheergasse 18, 1010 Wien) mit einem Ökumenischen „Gebet für Europa“ gesetzt. Den Gottesdienst wird der lutherische Altbischof Herwig Sturm gestalten, predigen wird der emeritierte Wiener Weihbischof Helmut Krätzl.
Das ökumenische Netzwerk „Miteinander für Europa“ ist 1999 anlässlich der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ des Lutherischen Weltbundes und der Führung der katholischen Weltkirche entstanden. Die Initiative verbindet katholische, evangelische, anglikanische und orthodoxe Christen ebenso wie Mitglieder von Freikirchen und neuen Gemeinden. Anliegen des Netzwerks ist der Einsatz für die Einheit und Versöhnung der verschiedenen Konfessionen und Kulturen sowie für Solidarität, Frieden und Toleranz in Europa. (Infos: www.together4europe.org/de)