Chalupka: „Menschenrechte sehr junge Entdeckung der Theologie“
Diskussion fragte nach Universalität von Menschenwürde
Wien (epdÖ) – Die Menschenrechte seien eine „sehr junge Entdeckung der Theologie, die wir uns nicht auf unsere eigenen Fahnen schreiben dürfen“, sagt der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka. Historisch habe sich die Menschenrechtskonzeption in der Französischen Revolution „vor allem gegen die römisch-katholische Kirche, aber auch die christliche Religion im Allgemeinen“ gewandt; der Begriff der Menschenwürde habe in der evangelischen Theologie erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Einzug gehalten, erinnerte Chalupka bei einer Online-Podiumsdiskussion an der Katholisch-Theologischen Universität Wien am Mittwoch, 18. November. „Der Rede von den Menschenrechten wurde lange unterstellt, nur individuelle Freiheit zu meinen.“ Heute werde in der Debatte betont, dass es gleichzeitig immer darum gehe, die Würde der Anderen zu verteidigen, hob Chalupka hervor. Das verlange nach einem Austarieren von Freiheit und Verantwortung. An der online geführten Diskussion nahmen neben Chalupka der römisch-katholische Militärbischof Werner Freistetter genauso teil wie der Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Jaron Engelmayer, die römisch-katholische Theologin Ingeborg Gabriel und Mohamed-Bassam Kabbani, Koordinator für Fortbildungsprogramme am Institut für Islamische Religion der KPH Wien/Krems.
Gabriel: „Religionen erleben einen Boom“
Der These, Religionen hätten in einer zunehmend säkularisierten Welt keinen relevanten Beitrag zur Menschenrechtsdiskussion zu leisten, erteilte die Theologin Ingeborg Gabriel eine Absage. „Die Rede von der Säkularisierung gilt für Europa und zunehmend für die USA. Global aber erleben Religionen einen Boom.“ Das gelte es ernst zu nehmen, „gerade, wenn wir es mit einem universalistischen Konzept wie den Menschenrechten zu tun haben“. Es sei daher eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, Religionen in den Menschenrechtsdiskurs einzubinden. Sie könnten zum einen der Frage, warum dem Menschen Würde zukomme, Tiefe verleihen, sagte Gabriel, zweimalige Sonderbeauftragte der OSZE im Kampf gegen Rassismus, Xenophobie, Intoleranz und Diskriminierung. Alle Religionen hätten zudem die Frage von Recht und Gerechtigkeit im Blick. Es sei ihre Aufgabe, die sozialen Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit oder Bildung, wieder stärker in den Blick zu nehmen. Denn die seien neben persönlichen und Freiheitsrechten in den letzten Jahren stark in den Hintergrund gedrängt worden: „Wir haben es hier quasi mit einer Halbierung der Menschenrechte zu tun“, so Gabriel.
Engelmayer: „Jeder Mensch gleichbedeutend mit ganzer Menschheit“
Oberrabbiner Engelmayer leitete die Menschenrechte vom biblischen Menschenbild her: „In der mündlichen Tradition wird festgestellt, dass der Mensch nicht nur als Ebenbild Gottes erschaffen worden ist – sondern ihm wurde das auch kundgetan. Das ist ein Ausdruck besonderer Zuneigung.“ Dieses Privileg sei Verantwortung und Verpflichtung, nicht nur die eigene Menschenwürde, sondern auch die des Mitmenschen zu unterstreichen. Jeder Mensch sei gleichbedeutend mit der ganzen Menschheit. „Keiner soll dem Mitmenschen sagen ‚Mein Vater ist größer als deiner‘, denn wir stammen alle vom gleichen Vater ab.“ Zugleich seien alle Menschen verschieden: Diese Grundlagen bildeten sich in vielen Verfassungen ab.
Freistetter: „Erstaunlicher Lernprozess“
Von einem „erstaunlichen Lernprozess“ der Religionen in der Menschenrechtsfrage sprach der römisch-katholische Militärbischof Werner Freistetter. Die Kirche habe sich durch die Französische Revolution bedroht gefühlt. Das Zweite Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965 sei dann aber durchaus „vorbereitet“ gewesen durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs: „Der Begriff der Menschenrechte als einklagbare Rechte auch gegenüber Autoritäten war ein jahrhundertelanger Lernprozess“, bekannte Freistetter.
Kabbani: Menschenrechte für viele Muslime „rein europäische Errungenschaft“
Eine Differenzierung in die Diskussion aus islamischer Sicht brachte der muslimische Theologe Mohamed-Bassam Kabbani ein. „Man kann Gott nicht beschreiben und begreifen, daher gibt es keine Gottesebenbildlichkeit des Menschen.“ Nach der Lehre des Korans trage der Mensch seine Würde aufgrund seiner Herkunft. „Der Koran sagt: Wir haben den Menschen in seiner besten Form erschaffen.“ Daher seien Menschenrechte sicherlich global zu verstehen. Gleichwohl bestehe bei vielen Muslimen weltweit der Eindruck, diese seien eine rein europäische Errungenschaft und würden nur für Weiße gelten. 2004 hätten daher die Mitglieder der Arabischen Liga eine „Arabische Charta der Menschenrechte“ verabschiedet: „Das ist nicht ausreichend, aber ist ein Prozess im Gange.“
Interreligiöse Beziehungen: Mehr Dialog in Gemeinden nötig
Einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt des Abends bildeten die interreligiösen Beziehungen insbesondere in Österreich. Hier sah Bischof Chalupka die Notwendigkeit, zusätzlich zum „offiziellen Dialog, der oft sehr glatt ist“, mehr Dialog „vor Ort“, auf Ebene der Gemeinde, zu führen. Gabriel pflichtete dem bei: „Es gilt, an die Basis zu kommen.“ Kabbani unterstrich die Offenheit der Islamischen Glaubensgemeinschaft für das interreligiöse Gespräch: „Da der Islam österreichweit und weltweit massiv unter Beschuss geraten ist in den letzten Jahren, ist der Dialog vonseiten der Muslime ein notwendiges Anliegen.“ Dem begegne man seit bald 20 Jahren mit Tagen der offenen Türen, bei denen „auch nicht kuschelige Fragen“ gestellt werden dürften. Freistetter lobte die Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften gerade in der Coronakrise: Hier stimme man sich sehr pragmatisch ab, was etwa die Frage der Gottesdienste betreffe. Und Engelmayer, erst seit heuer Oberrabbiner in Wien, zeigte sich zuversichtlich, dass der interreligiöse Dialog in der Stadt sehr gut fortgeschritten sei. „Hier kann weiter aufgebaut werden, um gesellschaftlich heiße Brennpunkte anzugehen.“
Der Abend wurde moderiert von Andreas Kowatsch, Professor für Kirchenrecht und Religionsrecht an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Die Podiumsdiskussion bildete den Abschluss eines interdisziplinären Seminars, bei dem sich Studierende aus verschiedenen Studienrichtungen der Menschenwürde und den Menschenrechten annähern sollten.