Armutskonferenz warnt vor schweren Folgen durch Pandemie
Diakonie-Experte Schenk: „Haben Sozialkrise, und Sozialhilfe kann sie nicht lösen“
Wien (epdÖ) – Die Abschaffung der Mindestsicherung und die Wiedereinführung der Sozialhilfe Anfang 2019 sei ein Rückschritt in der Armutsbekämpfung gewesen. Das werde besonders jetzt in der Coronakrise deutlich. Die neuen Gesetze verschärften Armut, degradierten Betroffene zu Bittstellern und eröffneten neue Unsicherheiten. Das sagte Diakonie-Sozialexperte Martin Schenk im Rahmen einer Pressekonferenz am Donnerstag, 17. Dezember, in der die NGO-Plattform Armutskonferenz über Erfahrungen aus der Praxis mit dem unter Türkis-Blau eingeführten Sozialhilfegesetz berichtete. „Wir haben eine Gesundheitskrise, aber auch eine Sozialkrise. Die sozialen Probleme werden größer, die Sozialhilfe kann sie nicht lösen. Aber gerade die Krise zeigt, wie wichtig eine gute Mindestsicherung wäre.“ Bislang haben nur Nieder- und Oberösterreich die neuen Gesetze, deren Ausgestaltung in die Länderkompetenz übergegangen ist, bereits eingeführt. Gerade hier würden die Probleme aber bereits sichtbar. Schenk sprach die Befürchtung aus: „Es wird insgesamt eine so uneinheitliche und zerstückelte Sozialhilfe geben wie noch nie.“
Fenninger: Forderung nach Kindergrundsicherung
Auf die Situation von Kindern wiesen Volkshilfedirektor Erich Fenninger und Josef Pürmayr vom Armutsnetzwerk Oberösterreich hin. Zwar habe der Verfassungsgerichtshof die ursprünglich beschlossenen Richtsätze – also Sozialhilfebeträge – für Kinder aufgehoben, so Pürmayr. Die neuen Sätze in Oberösterreich lägen gleichwohl nur wenig über den alten. So werde für ein Kind 25 Prozent des Betrages ausgezahlt, den ein alleinstehender Erwachsener erhalte. Bei drei Kindern sind es je 15 Prozent. Fenninger formulierte entsprechend drei Forderungen: Zum einen sei die Sozialhilfe umfassend und insbesondere für Kinder zu reformieren. Zweitens brauche es eine Kindergrundsicherung in Höhe von 625 Euro pro Kind und Monat. Und drittens müsse die Arbeit an einem bereits geplanten Aktionsplan gegen Armut endlich beginnen: „Wir müssen die Armut als Folge der Pandemie genauso bekämpfen wie die Pandemie selbst.“
Arbeitslose besonders unter Druck
Zu den Bezieherinnen und Beziehern von Sozialhilfe zählen besonders häufig Erwerbslose. Ihre Zahl sei durch die Coronakrise stark gestiegen, verdeutlichte Schifteh Hashemi von „arbeit plus“, einem Netzwerk von Unternehmen im arbeitspolitischen Bereich. Aktuell seien 455.000 Personen arbeitssuchend, über 128.000 seien langzeitarbeitslos. „Die Menschen sind einem starken Druck ausgesetzt. Sie müssen momentan trotzdem Bewerbungen abliefern, haben aber keine Möglichkeit zur Weiterbildung.“ Es brauche ein Gesetz, dass Menschen ohne Druck dabei unterstütze, wieder auf den Arbeitsmarkt zu kommen. Norbert Krammer vom Erwachsenenschutzverein „VertretungsNetz“ illustrierte die Lage an einem Beispiel: „Stellen Sie sich vor, Sie sind psychisch krank und versäumen deshalb Termine bei der Behörde. In Oberösterreich führt das dazu, dass die Sozialhilfe gekürzt wird, bis auf Null.“
Soziale Rechte in Verfassungsrang
Die Kosten für Alleinerziehende hätten sich durch die Corona-Pandemie massiv erhöht, berichtete Doris Pettighofer von der Plattform für Alleinerziehende. So sei mit dem Unterricht auch die Verpflegung in Schulen und Kindern ausgefallen: „Viele Menschen haben am Ende des Monats kein Geld mehr und müssen zu Hilfsorganisationen gehen, damit diese Essen zur Verfügung stellen.“ Schon 2019 habe fast jede zehnte der rund 168.000 alleinerziehenden Familien Mindestsicherung bezogen.
Wegen der Krise rechnet der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Alexander Machatschke mit zahlreichen Delogierungen im Laufe des Jahres 2021. Die Sozialhilfe in ihrer derzeitigen Form werde „nicht ausreichen“, das zu verhindern. Marianne Schule vom „SozialRechtsNetz“ forderte, Österreich solle nach internationalem Vorbild soziale Rechte in Verfassungsrang heben.