Im Gespräch: „Vorbilder – wozu?“
Ingrid Tschank über die Auswirkungen unseres Tuns und Lassens
Ein Vorbild zu sein ist anstrengend. Das war früher so und ist auch sicher heute so, aber eine massive Veränderung ist hinzugekommen. In ihrem Blog schreibt Melanie Vogel: „In Zeiten völliger Transparenz durch Facebook, Twitter, Google und viele andere Online-Kanäle, sind wir alle Vorbilder – ob wir wollen oder nicht. Jeden Tag, mit jedem Tweet, den wir absetzen, jedem Bild, das wir bei Facebook posten und jedem Kommentar und jeder eMail, die wir schreiben. Weil wir die Empfänger nie sehen und unsere Follower auch gar nicht mehr alle persönlich kennen können, vergessen wir nur zu schnell, dass das, was wir äußern, von Menschen gelesen werden kann, die das, was wir tun – oder unterlassen – als Vorbild nehmen könnten für eigenes Tun oder Unterlassen.“
Menschen, die die Welt bewegen, die im Großen oder Kleinen die Welt zum Besseren verändern, finden sich im persönlichen Umfeld, aber auch bei berühmten Personen. Martin Luther ist vielen Menschen ein Vorbild. Seine Haltung auf dem Reichstag in Worms kann bis heute mutmachend sein: Trotz mehrfacher Aufforderung und massiver Drohungen weigerte er sich, vor dem Kaiser Karl V. seine Schriften zu widerrufen. „Ich kann und will nicht widerrufen, weil weder sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun. Es sei denn, dass ich mit Zeugnissen der Heiligen Schrift oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen und Ursachen widerlegt werde, denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilen allein, weil es offensichtlich ist, dass sie oft geirrt und sich selbst widersprochen haben. Gott helfe mir. Amen.“
Das Einstehen für die eigenen Überzeugungen ist heute so wichtig wie notwendig, aber immer noch ein mutiger Schritt. Es finden sich auch in der jüngeren Vergangenheit bekannte Persönlichkeiten, deren Handlungen und Wirken als beispielhaft gelten: Mahatma Gandhi, Dietrich Bonhoeffer, Nelson Mandela, Malala Yousafzai oder auch Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Amnesty International oder das Internationale Rote Kreuz.
Brauchen wir heute überhaupt noch Vorbilder? Sind sie in dieser schnelllebigen digitalisierten Medienwelt überhaupt notwendig? Beate Hell formuliert es so: „Wenn wir wollen, dass aus Kindern kritische und selbstkritische, selbständige und reife Erwachsene werden, aus Schülern leistungsfähige und engagierte Jugendliche, die sich auch durch Widrigkeiten nicht unterkriegen lassen, dann liegt es nicht nur daran, was ihnen in Schule und Elternhaus an Wissen und Können vermittelt wird, sondern in exakt gleichgewichtiger Weise auch an uns selbst, an unserer Haltung und unserem Verhalten, an unserem Tun oder Unterlassen, an unseren Vor-Bildern, die wir ihnen tagtäglich liefern.“
Mag. Ingrid Tschank ist Pfarrerin in Gols. Kontakt: *protected email*
Jeden Sonntag sind Pfarrerin Maria Katharina Moser, Vikarin Julia Schnizlein und Pfarrerin Ingrid Tschank in der „Krone bunt“ – Kolumne „Im Gespräch“ zu lesen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von krone.at