Schiefermair: „Ethik nicht als Werkzeugkasten begreifen“
Mittlerweile Frustration bei Diskussion über Ethikunterricht bemerkbar
Mittlerweile Frustration bei Diskussion über Ethikunterricht bemerkbar
Wien (epdÖ) – Fehlende finanzielle Mittel, fehlenden politischen Entscheidungswillen, ein unzulängliches Religionsrecht und die Unfähigkeit, in Österreich mit religiöser Pluralität umzugehen ortet der evangelische Oberkirchenrat Karl Schiefermair in der Diskussion um den Ethikunterricht als Alternative oder Ergänzung zum konfessionellen Religionsunterricht. Nach zwanzig Jahren, in denen der Ethikunterricht bereits als „Schulversuch“ firmiere, sei die Frustration über die im Kreis verlaufende Diskussion spürbar, meinte Schiefermair im Rahmen eines Podiumsgesprächs am Mittwoch, 7. November, in der Diplomatischen Akademie Wien. In einer pluralistischen Gesellschaft sei „Orientierungswissen“ unabdingbar, das kläre, „was wir tun können sollen“. Dafür brauche es Pluralismusfähigkeit. Dieser Pluralismus spiegle sich auch in der Vielfalt von Ethiken wider: „Jeder Ethik liegt ein bestimmtes Menschenbild zugrunde. Eine Art von Supertheorie, die Ethik im Singular begreift, existiert ja nicht.“ Ethik lasse sich nicht als Werkzeugkasten begreifen und schon gar nicht „staatlich verordnen“.
„Der Islam als Religion der ‚Orthopraxie‘ verbindet einen stark ausgeprägten Glauben mit dem Handeln“, sagte Carla Amina Baghajati, Schulamtsleiterin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. „Ein gläubiger Muslim kann sich nicht darauf berufen, allein durch Gottesdienst Wohlgefallen zu erlangen: Es braucht Menschendienst.“ Dafür müsse auch über das Menschenbild geredet werden und darüber „was mir von Gott mitgegeben wurde.“ Dazu müsse der Religionsunterricht beitragen, ebenso zur Orientierung innerhalb des stark pluralistischen Islam. Dass sich die Religionsgemeinschaften auf ein gemeinsames Kompetenzraster für die Oberstufe geeinigt hätten sei zudem ein großer Schritt, „der zeigt, dass Religionsunterricht kein dogmatisches Gehirnwaschen ist.“
Schlomo Hofmeister, Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, kritisierte, „der Vorwurf, Religionsunterricht sein monolithisch, kann nur von Leuten kommen, die nicht wissen, was im Jahr 2018 im Religionsunterricht passiert.“ Es gehe im Religionsunterricht nicht um Frömmigkeit. Wer das wolle, müsse in die Sonntagsschule gehen. Der säkulare Ethikunterricht, so Hofmeister, sei in Europa durch und durch christlich geprägt, weshalb seine Religionsgemeinschaft dem Konzept sehr kritisch gegenüberstehe.
„Religion, Philosophie und Ethik“ können keine Alternativen zueinander sein“, betonte der römisch-katholische Fachinspektor Manfred Göllner. Diese Meinung habe sich aber erstaunlicherweise über lange Zeit gehalten. Auch die Frage, ob Religionslehrer Ethik unterrichten dürften sorge bei ihm immer wieder für Zornausbrüche: „Ja, natürlich! Wenn ein Religionslehrer Geschichte unterrichtet unterstellt doch auch niemand, dass er nur Kirchengeschichte macht.“ Die Frage nach dem Ethikunterricht als möglichem Ersatz zum Religionsunterricht sei darüber hinaus gesellschaftlich zu wichtig, um sie der Autonomie einzelner Schulen zu überlassen.
Die Diskussionsveranstaltung fand im Rahmen des 23. Wiener Kulturkongresses statt, der am Vorabend mit einem Festvortrag des Philosophen Matthias Beck eröffnet worden war.