Im Gespräch: „Ernte des Lebens“

 
von Evangelischer Pressedienst
  "Annemarie ist zufrieden. Und dankbar. 'Es geht mir gut', sagt sie. 'Drum will ich anderen helfen, die etwas brauchen.' Annemarie lebt die Dynamik von Erntedank." Foto: epd/Uschmann
"Annemarie ist zufrieden. Und dankbar. 'Es geht mir gut', sagt sie. 'Drum will ich anderen helfen, die etwas brauchen.' Annemarie lebt die Dynamik von Erntedank." Foto: epd/Uschmann

Maria Katharina Moser über das Teilen

„Brauchen die Flüchtlinge in unserer Pfarrgemeinde etwas?“ fragt mich Annemarie. Annemarie, die heute 80 Jahre alt ist, kann sich gut erinnern, wie das war – damals nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie ist als Flüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich gekommen. Sie weiß, wie der Hunger schmeckt. Sie erinnert sich, wie die Mutter losgezogen ist, um irgendwie zu einem Stück Brot für die Kinder zu kommen. Sie kennt das Leben in Lagern. Annemarie hat auch erlebt, dass die Zeiten besser geworden sind. Reich ist sie nicht. Sie lebt einfach und bescheiden. Aber sie hat alles, was sie braucht. Annemarie ist zufrieden. Und dankbar. „Es geht mir gut“, sagt sie. „Drum will ich anderen helfen, die etwas brauchen.“ Annemarie lebt die Dynamik von Erntedank.

Wenn wir in unseren evangelischen Kirchen Erntedank feiern, ist das mehr als Brauchtum und Folklore. Das Erntedankfest ist eine Schule des Lebens aus Dankbarkeit. „So lasst uns nun allezeit das Lobopfer darbringen“, heißt es in der Bibel. Wir schmücken unsere Kirchen mit Obst und Gemüse in allen möglichen Farben und Formen, Gerüchen und Geschmäckern. So bunt, so schön, so reich! Lob und Dank strömen aus unseren Herzen, wenn wir diese Fülle sehen. An das freudige Danken schließt die Bibel eine Erinnerung: „Gutes zu tun und mit anderen zu teilen vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.“ Nicht mit erhobenem Zeigefinger kommt diese Erinnerung daher, sondern eher beiläufig. Nach dem Motto: „Ach übrigens, nicht vergessen … “. Teilen ist keine große Anstrengung, eher eine logische Folge. Wenn wir beschenkt werden, erfasst uns eine Welle der Dankbarkeit, und es drängt uns zum Teilen. Quasi automatisch. „Ich hab so viel bekommen, ich will etwas zurück geben“, diesen Satz höre ich sehr oft.

Aber warum verwendet die Bibel für diese schöne und gar nicht so komplizierte Botschaft so seltsame Begriffe: „Lobopfer“ und Teilen als „Opfer, die Gott gefallen“? Für die Menschen in biblischen Zeiten waren Opfer-Rituale selbstverständlich. Tiere, Feldfrüchte und Getränke wurden den Göttern dargebracht. Vorschriften mussten exakt eingehalten werden, damit die Götter ihr Wohlwollen erweisen. Die in der Antike verbreitete Logik des Opfers heißt: Geschäft und Gegengeschäft. Die Menschen geben den Göttern Opfergaben, damit die Götter ihnen wohl gesonnen sind und ihnen im Gegenzug auch etwas geben. Die Bibel will diese Logik ändern: nicht Tauschgeschäft, sondern Dankbarkeit. Die Schöpfung und das Leben sind ein Geschenk Gottes. Ein Geschenk, das uns glücklich und dankbar macht, das uns Gott loben und uns mit anderen teilen lässt. So wie Annemarie, die die Ernte ihres Lebens mit anderen teilt.

Dr. Maria Katharina Moser ist Direktorin der Diakonie Österreich. Kontakt: *protected email*

Jeden Sonntag sind Pfarrerin Maria Katharina Moser, Vikarin Julia Schnizlein und Pfarrerin Ingrid Tschank in der „Krone bunt“ – Kolumne „Im Gespräch“ zu lesen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von krone.at

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