„Europa semper reformanda“
Symposium spürte Impulsen der Reformation nach Wien
Symposium spürte Impulsen der Reformation nach
Wien (epdÖ) – Welche Impulse der Reformation wirken heute noch nach? Welche Relevanz hat die Reformation für das heutige Europa? Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines Symposiums mit dem Titel „Europa semper reformanda“, das anlässlich des Reformationsjubiläums „500 Jahre Reformation“ im Ministerium für Europa, Integration und Äußeres am Freitag, 13. Oktober, in Wien stattfand. Eingeladen hatten neben dem Gastgeber die Evangelische Akademie Wien, die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bildungswerke und der Ring Österreichischer Bildungswerke.
Wiederherstellung, Erneuerung und Veränderung – das waren die Anliegen aller Reformatoren des 16. Jahrhunderts, erklärte die Religionswissenschaftlerin Irene Dingel vom Leibnitz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Die verändernden Impulse seien bis heute zu spüren. So hätten Luthers Neuansätze Theologie und Kirche im evangelischen Bereich bis heute bestimmt. Die Bibel als ausschließliche Autorität, das unmittelbare Gottesverhältnis des Einzelnen unabhängig von Leistung, Stand und Geschlecht seien „Hauptthemen mit nachhaltiger Wirkung“. Weil die Reformation den Autoritätsanspruch der Kirche durch die Autorität der Bibel ersetzt und das weltliche Leben aufgewertet habe, habe die reformatorische Theologie durch ihren emanzipatorischen Effekt auch gesellschaftsverändernd gewirkt und gleichzeitig die „Freiheit zur Weltgestaltung“ betont.
Die unbedingte Anerkennung jedes Menschen als Person sei „von höchster Aktualität“, meinte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker. Hier habe der reformatorische Aufbruch eine Antwort zu geben versucht. Durch die Bibelübersetzungen sei das Recht auf Muttersprachlichkeit begründet worden, die Bibelübersetzungen hätten hier kulturstiftend gewirkt, wie Bünker etwa am Beispiel Slowenien mit seinem Reformator Primož Trubar verdeutlichte. Dass die Heilige Schrift dem Zugriff der Wissenschaft ausgesetzt wurde, sei auch ein Weg, um Fundamentalismus zu bekämpfen: „Kritik und Selbstkritik gehören zusammen, denn Reformation beginnt immer bei einem/einer selbst und lässt auch Kirchen nicht unberührt“. Irene Dingel sprach hier vom „produktiven Kritikpotential“ der Reformation, das einen „fundamentalen Wandel“ ausgelöst habe.
Den Reformimpuls der Reformation im Bildungsbereich brauche es auch heute wieder, unterstrich die Religionswissenschaftlerin unisono mit den anderen Referenten des Abends, darunter EU-Kommissar Johannes Hahn und der Politikwissenschaftler Johann Dvořák. Er erinnerte daran, dass der Protestantismus seine stärkste Wirkung nicht als Summe von Ideen, sondern zusammen mit breiteren sozialen Bewegungen und der Ausformung von politischen Institutionen entfaltet habe. Das Gedankengut der Reformation habe sich vor allem durch die intensive „Bildungsarbeit mit Erwachsenen“ verbreitet.
Bildung müsse mehr sein als Ausbildung, erklärte EU-Kommissar Johannes Hahn, ein „Fundament auf dem aufbauend man sich Wissen aneignen kann“. Bildung nannte Hahn, der auch Präsident des Rings Österreichischer Bildungswerke ist, ein „europäisches Anliegen, um Zukunft abzusichern“. Die Reformation habe durch ihre Ansätze im Bildungsbereich „mutmachendes Potential“ entwickelt. Irene Dingel führte aus, dass die Reformation durch die Neuentdeckung der Bildung und den Anspruch, dass Bildung für alle erreichbar sein müsse, das europäische Bildungswesen nachhaltig beeinflusst habe.
Neben dem Bildungsimpuls hob Bischof Michael Bünker auch den sozialen Aspekt hervor: Die Verantwortung für den Nächsten sei in der Reformation immer mitgemeint, das diakonische Anliegen liege ebenso wie die Bildung nicht mehr nur im kirchlichen, sondern im politischen Verantwortungsbereich. Der Schutz und die Förderung von Minderheiten mache für den Protestantismus einen „besonderen Marker Europas“ aus, so Bünker, „es muss möglich sein, Vielfalt auch von Minderheiten miteinander zu verbinden“. Bünker, der auch Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) ist, wies auf das dort gelebte Modell der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ hin. Auch wenn Einheit in Europa schwierig sei und Vielfalt von manchen als Problem gesehen werde, „vielleicht ist es unsere spezielle evangelische Aufgabe, die Versöhnung zu fördern“.
Die Fähigkeit Europas bestehe im Wesentlichen darin, „Minderheiten zu hören, einzubinden und zu respektieren“, Europa sei „gut beraten, Kleine mitzunehmen“, sagte in diesem Zusammenhang EU-Kommissar Johannes Hahn. Denn Minderheiten ergäben „insgesamt eine Mehrheit der Fantasie, Vielfalt und Pluralität, das ist das, was Europa stark macht“. Beim „Zukunftsprojekt Europa“ stehe dabei, wie Bischof Bünker anmerkte, die zentrale Frage im Raum: „Wie können wir ein auskömmliches Leben für alle organisieren?“