„Die Liebe Gottes kennt keine Obergrenzen“
Wie reformatorisch und politisch eine „Nacht der Bibel“ sein kann. – Ein Interview mit dem Autor und Komponisten des Abends: Stefan Alkier
Stefan Alkier ist Professor für Neues Testament am Fachbereich für Evangelische Theologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er ist der Autor und Komponist der „Nacht der Bibel“ – ein besonderes Event, in der die Bibel als Ganzes an einem Abend präsentiert wird, und das von namhaften Schauspielern: Barbara Auer, Peter Lohmeyer und Christian Nickel inszenieren die Textauswahl. In Wien feiert die „Nacht der Bibel“ am 5. Mai Österreich-Premiere. Die Besucherinnen und Besucher erwartet Alkiers besondere ästhetisch wie theologisch durchdachte Zusammenfassung der Bibel, einem Buch das „für viele Menschen einfach zu dick und zu schwer zu verstehen ist“, so Alkier.
Warum für ihn biblische Geschichten auch heute hoch-aktuell und nicht „Schnee von gestern“ sind und was Martin Luther wohl von dem Abend gehalten hätte – lesen Sie hier im Interview, das für die Seite www.evangelisch-sein.at geführt wurde:
EVANGELISCH-SEIN.AT: Warum sind für Sie biblische Geschichten, die immerhin schon tausende von Jahren alt sind, nicht „Schnee von gestern“?
STEFAN ALKIER: Die Bibel begeistert mich. Sie lässt mich die ganze Welt und alle Menschen als von Gott liebevoll gewollte Mitgeschöpfe sehen. Sie spricht aus der Fülle der Schöpfung und macht unzweideutig klar, dass diese Fülle für alle alles Lebensnotwendige bereitstellt. Sie ist deswegen auch ein hoch politisches Buch, denn sie stellt ein Gegenmodell zur kapitalistischen Theorie der Mangelverwaltung dar. Niemand kann sich herausreden, wenn Menschen Menschen und anderen Geschöpfen Leid zufügen oder wegsehen und im Leid umkommen lassen. Die Liebe Gottes kennt keine Obergrenzen und dies - und nichts anderes - ist die Orientierung für alle, die in der Nachfolge Jesu Christi, dem Ausdruck der Liebe und Allmacht Gottes schlechthin, leben wollen. Sogenannte "Christen" wie Donald Trump oder Viktor Orban und ihre Getreuen, die meinen, Menschen in Not, die nicht ihrer Nation angehören, gingen sie nichts an, sollten sich schämen. Sie haben jedenfalls keinerlei Anspruch darauf, Christen genannt zu werden. Die Bibel ist das Buch des Umdenkens. Ihre liebevolle Perspektive ist das Evangelium für alle Menschen. Wer gute Nachrichten nur für das eigene Volk, für die eigene Nation, für die eigene Interessensgruppe hat, verrät die universale, grenzenlose und Grenzen einreißende Liebe Gottes.
EVANGELISCH-SEIN.AT: Was soll – im besten Fall – mit den Zuhörern passieren? Mit welchem Gefühl sollen die Besucher die Kirche verlassen?
STEFAN ALKIER: Ich hoffe darauf, dass die Besucher von den biblischen Texten ergriffen werden und zumindest erleben, was für ein aufregendes, vielstimmiges und doch in der Grundaussage der treuen Liebe Gottes klar positioniertes Buch die Bibel ist. Mich fasziniert kein anderes Buch dieser Welt so sehr wie die Bibel und zwar in ästhetischer, theologischer und philosophischer Hinsicht. Die Bibel mit ihrer Polyphonie verschiedener und teilweise auch miteinander im Konflikt und Widerspruch stehender Stimmen ist zugleich qualifizierter Pluralismus und klare Positionierung auf der Seite der Liebe und Barmherzigkeit für alle Menschen. Sie ist aber nicht zuletzt auch philosophisch hoch interessant, weil ihre Kosmologie nicht an den Grenzen des Wiederholbaren, Analogisierbaren, allein im Modus der Vergangenheit orientierten Empirismus Welt und Wirklichkeit begreifen lässt, sondern in der Lage ist, wirklich Singuläres, Neues und Zukünftiges zu denken. Ich hoffe, davon Spüren die Besucher etwas und im besten Fall bekommen sie vielleicht Lust, selbst in der Bibel zu lesen.
EVANGELISCH-SEIN.AT: Die Nacht der Bibel wäre gewiss in Luthers Sinn gewesen, oder?
STEFAN ALKIER: Die Nacht der Bibel gestaltet mein Verständnis des reformatorischen "sola scriptura". Die biblischen Texte können ja nur wirken, wenn sie wahrgenommen, gehört, miteinander vernetzt werden. Ich habe die Nacht der Bibel komponiert als Performanz reformatorischen Bibelverständnisses. Es gibt in reformatorischer Sicht keinen besseren, plausibleren, zuverlässigeren Weg zur Wahrheit Gottes und damit zu unserer Lebenswirklichkeit, als die Bibel. Diese aber ist ein zerbrechliches Gefäß und muss stets neu interpretiert und vor hässlichen und gewaltvollen Missverständnissen geschützt werden. Das geht am besten, wenn man die Bibel als Gesamtes, als vielstimmiges aber zusammenhängendes Ganzes wahrnimmt.
Vielen Menschen ist dieses Buch aber einfach zu dick und zu schwer zu verstehen. Meine Komposition der Nacht der Bibel, an der ich zwei Jahre gearbeitet habe und immer noch weiter feile, elementarisiert im besten Sinne des Wortes. Es geht nicht um Simplifizierung, sondern um eine Orientierung an ihrer Gesamtstruktur, um ihr Ganzes sehen zu lassen. Dafür habe ich auch die Musik komponiert, als Ruheinseln, um das von den beteiligten Schaupielern so eindrücklich vorgetragene auf sich wirken zu lassen.
Wir haben die Nacht der Bibel nun schon mehrfach aufgeführt und haben Buchungen bis 2018 und da es mir immer auch eine riesige Freude ist, mit meinem Bruder Thomas und unserem Freund Walfried Böcker zu musizieren, lasse ich es mir nicht nehmen, die Gitarre selbst zu spielen. Thomas und Walfried sind zwei so einfühlsame und intelligente Musiker, dass ihr Spiel entscheidend zum Gelingen des Abends beiträgt. Sie geben den Texten einen Raum zum Nachklang. Deswegen heißt unsere CD auch „Reverberation“ (deutsch: Widerhall, Nachhall). (Die CD kann via E-Mail über info@leseinsel-bo.de bezogen werden.)
Unser Bandname „Echoes of Scripture“ entstammt einem der wichtigsten exegetischen Monographien des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die mein Freund und Kollege Richard B. Hays verfasst hat: Echoes of Scripture in the Letters of Paul. Wer theoretisch nachlesen möchte, worauf die Aufführungen der Nacht der Bibel theologisch beruhen, sollte dieses Buch lesen und mein Arbeitsbuch "Neues Testament - utb basics, Franke Verlag".
EVANGELISCH-SEIN.AT: Vielen Dank für das Interview, Herr Alkier.
Weitere Informationen:
In Wien ist die „Nacht der Bibel“, am 5. Mai 2017 um 19 Uhr, in der evangelischen Auferstehungskirche in Neubau (Lindengasse 44a, 1070 Wien) zu sehen. Eintritt: 15 Euro, freie Platzwahl (Einlass ab 18 Uhr). Link: Event-Info "Nacht der Bibel"
In Österreich gibt es bislang nur zwei weitere Termine: Wiener Neustadt, 6. Mai um 18 Uhr in der evangelischen Auferstehungskirche (Ferdinand-Porsche-Ring 6, 2700) und in Krems a.d. Donau, 7. Mai um 18 Uhr in der evangelischen Heilandskirche (Martin-Luther-Platz 3, 3500)
Text: Die Fragen stellte Martina Schomaker-Engemann
Foto: Guido Sedlaq