Diakonie fordert Inklusion statt Segregation an Schulen
Moser: Öffnung der Regelschule statt Sonderschul-Ausbau wäre „großer Schritt“
Wien (epdÖ) – Als „Zudecken der gravierenden Mängel bei der Inklusion im Bildungsbereich“ sieht die Diakonie Schlussfolgerungen, welche das Bildungsministerium aus einer Studie zur Vergabe des sonderpädagogischen Förderbedarfs zieht. „Die Ableitungen aus der Studie bestärken das segregierende Schulsystem, anstatt es zu hinterfragen“, erklärt Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich, in einer aktuellen Aussendung.
Der Fachausschuss für inklusive Bildung, der die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beobachtet, habe erst im August im Rahmen der Staatenprüfung „eklatante Versäumnisse seitens der Politik“ festgestellt, erinnert Moser. „Wenn das Bildungsministerium nun in einer Pressemeldung verkündet, dass ‚Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen im Schulsystem adäquat unterstützt und begleitet‘ werden, grenzt das an Realitätsverweigerung“, kritisiert Moser.
Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung hatte am 22. November in einer Pressemeldung über die Ergebnisse einer Studie berichtet, in welcher die Vergabepraxis eines sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) bundesweit verglichen wird. Der Studie zufolge sind 97,7% der Eltern mit der im Verfahren zur Vergabe des sonderpädagogischen Förderbedarfs festgesetzten Schule sehr zufrieden bzw. zufrieden. Dies zeigt nach Ansicht des Ministeriums, dass die Wahlfreiheit, in welchem Setting ihr Kind beschult werde – entweder in einer Kleinklasse an einer Sonderschule oder in einer inklusiv geführten Klasse einer Regelschule – für Eltern von großer Bedeutung sei.
Eine „Scheinwahlfreiheit“ sieht darin allerdings die Diakonie. „Wir sehen in der Praxis, dass Regelschulen, so wie sie sind, in vielen Fällen die individuelle Begleitung für Kinder mit speziellen Bedürfnissen nicht leisten können. Neben fehlenden Unterstützungs- und Therapie-Angeboten sind es oft auch bauliche Barrieren, die den Besuch der Regelschule für Kinder mit Behinderungen unmöglich machen“, unterstreicht Moser. In der Folge entschieden sich die Eltern oft für die Sonderschule und müssten notgedrungen in Kauf nehmen, dass ihre Kinder keinen Kontakt zu Regelschüler:innen haben und schon früh ausgegrenzt werden. „Was als ‚Wahlfreiheit‘ bezeichnet wird, bereitet in Wahrheit schon früh einen Boden für Diskriminierung und Ausgrenzung“, so die Diakonie-Direktorin.
„Wir als Diakonie kritisieren die Trennung zwischen Sonder- und Regelschulen und die vermeintliche Wahlfreiheit, weil es dadurch zur Segregation kommt und Chancengleichheit schon früh und nachhaltig verhindert wird“, hebt Moser hervor. Wie Studien zeigten, leiste eine diverse Schulkultur einen wesentlichen Beitrag zum positiven Schul- und Klassenklima. Sämtliche Kinder würden dabei „kognitiv und sozial“ vom individualisierten Unterricht profitieren.
Die Diakonie weist in ihrer Aussendung darauf hin, dass auch der UN-Fachausschuss, der im August 2023 die Umsetzung der inklusiven Bildung nach der UN-Behindertenrechtskonvention stark kritisiert hatte, Österreich das Ende des Ausbaus von Sonderschulen empfiehlt. Dazu fordert der UN-Fachausschuss eine nationale Strategie für eine inklusive Bildung ohne Sonderschulen.
Darüber hinaus betont die Diakonie, dass laut Behindertenverbänden, Behinderten-Selbstvertreter:innen und Expert:innen die Einteilung in „behindert“ und „nicht behindert“ von vornherein einem inklusiven Bildungssystem entgegen stehe und auch nur in seltenen Fällen wieder rückgängig gemacht werden könne. Deshalb tritt die Diakonie für ein Neudenken von Schule und eine Umverteilung von Ressourcen aus dem Sonderschulwesen in inklusive Schulen ein. „Würde man alle Ressourcen, die heute in die Diagnostik und in den Erhalt und Ausbau von Sonderschulen fließen, in die Öffnung der Regelschule für inklusives Miteinander stecken, wäre ein großer Schritt getan“, ist Moser überzeugt.