Expert:innen diskutierten in Wien über Herausforderungen im interreligiösen Dialog

 
von Evangelischer Pressedienst

Pfarrerin Kampl: „Es gibt keinen anderen Weg“

Wien (epdÖ) – Unter dem Titel „Verortung der Zukunft“ diskutierten Religionsexpert:innen am Dienstag, 7. November, im Albert-Schweitzer-Haus in Wien-Alsergrund über den Beitrag interreligiöser Orte zu einer weltoffenen Gesellschaft. Die Veranstaltung fand in der Reihe „Neue Perspektiven“ sowie im Rahmen der Gedenktage „Mechaye Hametim“ statt. „85 Jahre nach den Novemberpogromen ist ein Einstehen der Religionsgemeinschaften füreinander und vor allem in Toleranz allen Lebensentwürfen gegenüber so wichtig wie eh und je. Grundlegend dafür scheint der interreligiöse Dialog“, hieß es im Vorfeld vonseiten der Veranstalter:innen.

Die Teilnehmenden gingen den Fragen nach, was innerhalb einzelner Religionsgemeinschaften den Dialog fördert und was dem entgegensteht, ebenso wurde darüber diskutiert, welche Wirkung die interreligiöse Zusammenarbeit über religiöse Grenzen hinweg für säkulare Gesellschaften haben kann.

„Man merkt, wie in den letzten Jahren gerade das Interesse an interreligiösem Dialog abgenommen hat“, konstatierte eingangs Andreas G. Weiß, Theologe und Erwachsenenbildner. Zudem habe sich in der Gesellschaft angesichts des Nahost-Konflikts die Stimmung verändert. Gerade in dieser Zeit seien interreligiöse Veranstaltungen wichtig. Er wolle zeigen, „dass Bildung wichtig ist, dass man neue Angebote setzen“ müsse und über den aktuellen Konflikt und dessen Folgen nicht schweigen dürfe, sondern über das Verhältnis der Religionen zueinander „neu nachdenken“ müsse. „Ich glaube, es ist nötig, auf einen interreligiösen Dialog zu setzen, der die Unterschiede verstehen lässt – das ist auch ein Bildungsauftrag“, erklärte Weiß. „Das ist auch das Revolutionäre – unsere eigene Wahrheit erkennen wir in dem anderen“, so der katholische Theologe.

„Aus der Forschung kann ich sagen, dass sich die jungen Menschen innerhalb der eigenen Religionstradition aufgehalten haben“, sagte der Politikwissenschaftler Christoph Novak von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Novak nahm Bezug auf ein Forschungsprojekt zu Online-Aktivitäten religiöser Menschen. Dabei habe sich gezeigt, dass sich christliche Menschen „eher für freikirchliche Inhalte oder feministische Inhalte einer protestantischen Pfarrerin“ als für andere Religionen interessiert hätten.

Moderatorin Doris Helmberger-Fleckl, Chefredakteurin der Wochenzeitung „Die Furche“, fragte, ob angesichts des im Nahen Osten aufgeflammten Konflikts und wachsenden Antisemitismus dem interreligiösen Dialog eine Naivität zugrunde liege.

„Ich glaube, interreligiöser Dialog bedeutet manchmal auch, miteinander zu schweigen“, sagte Yuval Katz-Wilfing, Religionswissenschaftler mit dem Schwerpunkt religiöse Minderheiten. Dies gelte besonders dann, wenn die Emotionen angesichts von Ereignissen sehr stark seien. Wichtig sei dabei die Wahrnehmung, dass eine Person mit einer anderen Religionszugehörigkeit zunächst „ein Mensch“ sei, unterstrich Katz-Wilfing, der auch Geschäftsführer im Koordinierungsausschluss für christliche-jüdische Zusammenarbeit ist.

Auch wenn der interreligiöse Dialog naiv sei, gebe es keinen anderen Weg, betonte Anna Kampl, evangelische Pfarrerin der Glaubenskirche in Wien-Simmering. Ihre Pfarrgemeinde lädt laufend insbesondere junge Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen in ihrer Umgebung zur Begegnung ein. „Ich glaube, es ist wichtig, in der Zukunft dranzubleiben, und den jungen Menschen zu zeigen, dass wir offen sind und miteinander reden“, sagte Kampl, die sich vom Dialog überzeugt zeigte. „Ich kann nicht die ganze Welt ändern, aber mein Umfeld, und dort haben wir schon etwas auf die Beine gebracht“, bekräftigte die Pfarrerin, die auch in der Initiative „Religions for Equality“ wirkt.

Der interreligiöse Dialog sei vielen Menschen ein Dorn im Auge, befand Weiß. Er sei für diese Menschen mit Angst verbunden, weil sie zwar die eigene Religion, aber nicht das Verhältnis zu anderen Religionen kontrollieren könnten. „Der interreligiöse Dialog ist idealistisch, aber das muss er auch sein“, bekräftigte Weiß, dessen Meinung Novak teilte. Es sei stets eine Frage, was man daraus mache. „Der interreligiöse Dialog ist ein Bohren harter Bretter und kann nur entgegen Widerständen funktionieren“, hob Novak hervor.

Auf die Frage nach einem Ort für interreligiösen Dialog nannte Kampl das Sozialforum ihrer Pfarrgemeinde, in dem einander Menschen verschiedener Religionsgemeinschaften treffen. Schwierig sei die Situation nach den Terroranschlägen der Hamas in Israel. „Man merkt, dass alle in der Starre sind“, räumte Kampl ein. Doch auch in der Schule, der Diakonie und im seelsorglichen Raum könnten interreligiöse Begegnungen stattfinden.

Der Wiener Superintendent Matthias Geist berichtete von einem seit rund zehn Jahren geplanten interreligiösen Projekt unter seiner maßgeblichen Beteiligung, dem „Campus der Religionen“ in der Seestadt Aspern in Wien-Donaustadt. Geist sprach dabei von einem „guten Weg der Religionsgemeinschaften“ mit einem „friedensfördernden Grundansatz“. Sowohl das bauliche Konzept als auch der gemeinsame Anspruch an dieses Projekt sei bislang „Aushandlungsprozess“ innerhalb der beteiligten Glaubensgemeinschaften und der Stadt Wien. Geist begrüßt auch die Einrichtung eines Religionsrates in Wien und sieht diesen als „eine gute Begleitung vieler städtischer Entwicklungen“.

„Mechaye Hametim“ ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe von Albert-Schweitzer-Haus – Forum für Zivilgesellschaft, der Evangelischen Hochschulgemeinde Wien, der Gemeinde St. Ruprecht, der Wochenzeitung „Die Furche“, vom Forum Zeit und Glaube – Katholischer Akademiker/innenverband der Erzdiözese Wien, der Katholischen Aktion Österreich, der Katholischen Hochschuljugend Wien, des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Theologischen Kurse.

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