Gut und Böse
Michael Chalupka über den Menschen als Gerechter und Sünder
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“, meinte Goethe. Und doch schwingt im Begriff „Gutmensch“ immer mit, dass sich da einer seiner moralischen Position allzu sicher ist und anderen überlegen fühlt. Solche moralischen Perfektionisten nerven. Doch was ist die Alternative zum Gutmenschen? Der Bosnigl vielleicht, den jede moralische Schranke prinzipiell dazu einlädt, sie zu überspringen, und der zu jeder Schandtat bereit ist?
Martin Luther – der Reformator, dessen Werk die Evangelischen Kirchen nächste Woche am Reformationstag, dem 31. Oktober, gedenken – würde sagen: „Ihr seid immer Gutmenschen und Bosnigl zugleich!“ Der Mensch ist „simul justus et peccator“, Gerechter und Sünder zur gleichen Zeit. Bosnigl und Sünder, weil er’s, scheint’s, nicht anders kann. Gutmensch und Gerechter aber, weil Gott auch den Gottlosesten wieder zurechtrückt und den Glauben an Gott, an die Menschheit und an das Gute schenkt.
Ein so von Gott beschenkter Gutmensch weiß, dass immer noch ein kleiner Bosnigl in ihm steckt. Deswegen spürt er keine moralische Überlegenheit, die ihn über all die anderen Bosnigl erheben würde. Aber er weiß um die Chance, dass ein Leben, das das Gute im Menschen sucht und fördert, geschenkt werden kann. Darum kann er die Bosheiten der Bosnigl, die die Welt beherrschen, besser ertragen. Und er weiß, dass ja ebenso umgekehrt gilt: In jedem Bosnigl steckt auch die Sehnsucht, gut zu sein.