Antisemitische Kirchenfenster: Verhüllung sorgt für Diskurs
3. Bezirk: Pauluskirche kommentiert eigene Vergangenheit mit Kunstprojekt
Es führt kein Weg daran vorbei: Wer die Pauluskirche im 3. Wiener Bezirk betritt, wird sich mit der antijüdischen Geschichte der Evangelischen Kirche auseinandersetzen. Denn am Sonntag, 8. Oktober, wurden die 14 Buntglasfenster verhüllt, die in den 60er Jahren von NS-Künstler Rudolf Böttger gestaltet wurden.
„Die Kirchenfenster stellen Juden verletzend dar“, sagte Pfarrerin Elke Petri zu Beginn des Gottesdienstes. „Die Fenster zeigen Jesus als arischen, blonden Jüngling und die Mädchen sehen aus, als seien sie der Hitlerjugend entsprungen.“ Darum feierte Pfarrerin Petri den Gottesdienst mit der Pauluskirchen-Gemeinde ganz im Zeichen des Erinnerns. „Wir haben die Pflicht, unserer Schuld zu gedenken, sie nicht unkommentiert zu lassen. Wir haben die Pflicht, uns zu erinnern.“
Gottesdienst im Zeichen des "Erinnerns"
Dabei ging es im Gottesdienst nicht nur darum, sich zu erinnern, was geschehen ist. Sondern auch darum, sich zu erinnern, dass jede und jeder sich zur Vergangenheit und Gegenwart verhalten kann und soll. Genauso habe es die Pfarrgemeinde getan, in dem sie nun die Fenster ganz bewusst mit durchscheinenden, farbigen Stoffbahnen verhüllte. Je nach Lichtverhältnis, sind die Stoffbahnen kaum oder stark zu sehen.
„Was ich gelernt habe und den Jugendlichen sowie Ihnen allen mitgeben möchte, ist, dass wir Menschen Entscheidungen treffen, dass Dinge passieren – wir aber immer etwas dagegen tun können. Es gibt für alles ein ‚Gegengift‘“, sagte Lisa Pacchiani, die das Projekt pädagogisch begleitete. Pfarrerin Elke Petri interviewte sie im Gottesdienst, ebenso wie die involvierten Künstlerinnen.
"Verhüllen und Durchblicken" - Das Jugend-Kunstprojekt "Glaube Hoffnung Liebe"
„Verhüllung als Fokussierung ist ein Stilmittel in der religiösen Kunst“, sagte die Künstlerin Gabriele Petri, die das Projekt künstlerisch begleitete. „Durch das Verhüllen soll nicht das Vergessen oder Verdrängen ermöglicht, sondern vielmehr eine Erinnerung wachgehalten werden.“
Zusätzlich zum Erinnern, so Pfarrerin Elke Petri, würden durch das Kunstprojekt jetzt auch die Werte der Pfarrgemeinde mitkommuniziert. So ist auf jeder Stoffbahn entweder das Wort „Glaube“, „Liebe“ oder „Hoffnung“ zu lesen. Wie diese Worte im Siebdruckverfahren auf dem besonderen Stoff (sogenannter „Ausbrennstoff“) transparent gemacht wurde, erklärte Druckgrafikerin Barbara Waltritsch.
Jugendliche entscheiden und gestalten
Höhepunkt des Gottesdienstes war die aktive Verhüllung dreier Fenster durch Jugendliche der Pauluskirche. Anna Eschenbach, Lukas Ofenböck, Felicitas Werb und Felix Werb aus der „Pauli-Jugend“ erklärten dabei, warum sie welches Wort für welches Fenster ausgewählt hatten. So hängten sie zum Beispiel vor dem Buntglasfenster des schreibenden Paulus den Schriftzug „Glaube“ und begründeten dies mit: „Der Glaube kann unterstützen, mit den Kirchenfenstern umzugehen. – Glaube motivierte Paulus, seine Erfahrungen aufzuschreiben. Die Paulusbriefe motivieren und begeistern auch heute noch zum Glauben. Und Glaube kann bewahrt werden in den Briefen von Paulus, aber auch in Kunst wie den Fenstern oder den Stoffen.“
Mit der Verhüllung der Kirchenfenster geht für die Jugendlichen ein einjähriges Projekt zu Ende, bei dem sie gern eine tragende Rolle für die Gemeinde übernommen haben. „Es ist eine Ehre, dass wir im Kirchenraum so etwas Wichtiges gestalten durften“, bedankte sich Felix Werb.
Hennefeld: Kunstprojekt "modellhaft" und "großartig"
Auch für Thomas Hennefeld, reformierter Pfarrer und Beauftragter seitens des Kirchenrates A. u. H.B. für den christlich-jüdischen Dialog, ist das Kunstprojekt der Pauluskirche ein runde und vor allem wirkungsvolle Sache: „Für mich ist es schwer zu verstehen, warum ein NS-Künstler diese Fenster trotz Berufsverbotes gestalten konnten. Wie die Gemeinde der Pauluskirche damit umgeht und sich auseinandersetzt, ist für mich modellhaft, denn es gibt für solche Fälle kein Patentrezept“, sagte Hennefeld in einem Grußwort am Ende des Gottesdienstes. „Es ist großartig zu sehen, wie das Kunstprojekt den Diskurs über die Kirchenfenster, über Antijudaismus auslöst.“
Die Verhüllung als wichtiges Etappenziel
Die Verhüllung ist ein wichtiges Zwischenziel in der Auseinandersetzung der Pfarrgemeinde mit den antijüdischen Fenstern. In den kommenden Jahren sollen die Fenster im Zuge einer thermischen Sanierung ausgetauscht werden. Aus den Scherben der Böttger-Fenster soll dann eine Gedenkstelle errichtet werden.
Weitere Informationen
https://www.pauluskirche.at/kirchenfenster