Vom säen und ernten
Maria Katharina Moser über Samenkörner und Erntedank
Es herbstelt. Auch wenn mir der Abschied vom Sommer schwer fällt, finde ich den Herbst mit seinen Farben und seiner Fülle vor der Kargheit des Winters wunderschön. Heute wird diese Fülle in die Kirchen getragen: rote Paprika und blaues Kraut, säuerliche Äpfel und süße Trauben, grüner Salat und goldene Ähren. Erntedank ist ein sinnliches und freudvolles Fest. Und lehrreich. Erntedank erzählt über die Schöpfung und über unseren Platz als Menschen in ihr.
Christen und Christinnen danken Gott, dem Geber aller Gaben. Sie rufen sich ins Bewusstsein: Wir haben uns nicht selbst geschaffen, wir verdanken unser Leben und seine Grundlage, die Natur, Gott. Wir sind Empfangende. Beschenkte. Aber wir sind auch Gestaltende. Handelnde. Wir säen, und wir ernten.
Im Markus-Evangelium erzählt Jesus ein Gleichnis: Ein Mensch hat Samen aufs Land geworfen. Er schläft und steht auf, Tag und Nacht wechseln einander ab, der Same geht auf und wächst, der Mensch „weiß nicht wie“. Und dann ist die Zeit der Ernte da. Es ist eine menschliche Grunderfahrung: Wir tun, säen und ernten – und gleichzeitig wächst die Saat ohne unser Zutun.
Oder sie wächst nicht. Es gehört zur Grunderfahrung von Bauern und Bäuerinnen, dass sie sich mühen müssen, es aber nicht in der Hand haben, ob ihre Anstrengungen Frucht bringen. Die Ernte kann verdorren oder in Wassermassen untergehen. (Dass Unwetter die Ernte bedrohen ist von jeher so. Neu ist, dass wir durch den menschengemachten Klimawandel Naturkatastrophen befeuern.) Es ist nicht immer selbstverständlich, dass die Saat aufgeht und wächst. Die Bibel ist da realistisch. Im Markus-Evangelium erzählt Jesus noch eine andere Parabel, in der ein Sämann ausgeht, um zu säen. Ein Teil der Saat fällt auf den Weg, Vögel fressen den Samen, noch bevor er aufgehen kann. Ein Teil fällt auf felsigen Grund, die Saat geht rasch auf, aber in der dünnen Erdschicht können die Pflanzen nicht tief genug wurzeln und verdorren. Ein Teil fällt in die Dornen und wird von diesen erstickt. Ein Teil fällt auf fruchtbaren Boden und trägt reiche Frucht, dreißig-, sechzig- und hundertfach.
So ist es überhaupt im Leben, denke ich mir: Wir tun, verfolgen ein Ziel, aber wir haben es nicht gänzlich in der Hand, ob die Saat unserer Bemühungen aufgeht. Manchmal bleibt die Ernte aus. Manchmal sehen wir die Früchte unserer Bemühungen erst viel später. Und manchmal säen wir, und andere ernten.
Erntedank feiere ich mit einer Mischung von Realismus und Vertrauen: Auch wenn nicht jeder Samen auf fruchtbaren Boden fällt und aufgehen kann – in Gottes guter Schöpfung gibt es genug Samen, die reiche Frucht bringen.