Wenn Religionsmuffel zu Kirchentouristen werden
Julia Schnizlein über den sich vielfach lohnenden Besuch einer Kirche
Als vor vier Jahren die Notre Dame in Paris brannte, ging ein Aufschrei des Entsetzens rund um den Globus. Millionen Menschen, auch solche, denen Religion und Glaube fern sind, trauerten um die historische Kathedrale. Die Folge war eine internationale Welle der Hilfsbereitschaft: 854 Millionen Euro an Spenden kamen für den Wiederaufbau zusammen, so dass die Notre Dame bereits Ende nächsten Jahres wiedereröffnet werden soll.
Die große Solidarität mit dem monumentalen Gotteshaus zeigt, dass Kirchen für viele Menschen mehr sind als bloße Steingebäude. Sie sind Jahrhunderte alte Orte der Spiritualität, erbaut für die Begegnung zwischen Mensch und Gott. Sie entführen uns auch heute noch aus unserem Alltag und bringen uns auf wundersame Weise mit unserem Schöpfer in Verbindung. Kirchen machen deutlich, dass wir eingebettet sind in eine Welt, die vor uns war und nach uns sein wird, und erinnern uns auf liebevolle Weise an unsere eigene Vergänglichkeit.
Und dann sind Kirchen beeindruckende, meist gratis zugängliche Sehenswürdigkeiten, die uns die Geschichte des jeweiligen Ortes und Landes eröffnen. Sie sind Zeuginnen der Architektur, Kultur und der Glaubensgeschichte ihrer jeweiligen Zeit.
Im Urlaub werden daher selbst die größten Religionsmuffel oft zu regelrechten Kirchentouristen. Hierzulande zieht der Stephansdom jährlich bis zu fünf Millionen Besucher an. Aber auch kleinere Kirchen, wie unsere Lutherische Stadtkirche unweit des Domes, erfreuen sich bei Touristen und Passanten großer Beliebtheit.
Viele Menschen nutzen allein oder in kleinen Gruppen den historischen Kirchenraum zum Innehalten, Nachdenken und Kerzenanzünden. Viele schreiben eine Fürbitte ins Gästebuch, und manche erzählen davon, dass sie in der Stille der Kirche den richtigen Rahmen gefunden haben, um über ihr eigenes Leben nachzudenken.
Unsere Lutherische Stadtkirche ist auch für historisch Interessierte spannend. Das ehemalige katholische Klarissinnenkloster aus dem 17. Jahrhundert ist die älteste evangelische Kirche Wiens und feiert heuer Jubiläum: Seit 240 Jahren werden hier nun schon evangelische Gottesdienste gefeiert. Ein Grund mehr, uns einen Besuch abzustatten – im Urlaub oder im Alltag!