Kinder annehmen
Chronisch kranke Kinder brauchen mehr Zuwendung und Therapien, weiß Maria Katharina Moser
Noah ist ein aufgeweckter Bub. Am liebsten spielt er mit bunten Autos und seinem Baukran. Seit seiner Geburt lebt Noah mit der Stoffwechselerkrankung Cystische Fibrose. Bakterien und Keime, die für Gesunde keine Rolle spielen, können Noahs Lunge schädigen. Mit Wasser herumspritzen oder in Pfützen springen soll Noah nicht. Das ist zu gefährlich wegen der Keime. Alle Spielsachen werden regelmäßig desinfiziert. Jedes Kind hat seinen eigenen Teller. Doch manchmal ist das am reizvollsten, was am Teller eines anderen Kindes liegt. Noah soll nicht vom Teller oder mit dem Besteck eines anderen Kindes essen. Um Noah vor Keimen zu schützen, ist auf viele Details zu achten. Das braucht viel Aufmerksamkeit. Und aufmerksame Erwachsene, die Zeit haben.
Szenenwechsel: Menschen bringen Kinder zu Jesus. Es sind Kinder, die ganz unten auf der gesellschaftlichen Stufenleiter stehen. Jesus soll sie berühren. Denn Berührung ist heilsam. Aber was passiert? Die Jünger herrschen die Kinder an, wollen sie vertreiben. Jesus reagiert zornig. „Lasset die Kinder zu mir kommen“, sagt er. Wer das Reich Gottes nicht annimmt, wie man ein Kind annimmt, der wird nicht hineinkommen. Jesus fordert dazu auf, Kinder, die unversorgt sind, aufzunehmen und anzunehmen. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran. Er umarmt die Kinder. In den gekrümmten Arm nimmt er sie, wie es wörtlich übersetzt heißt. Dazu muss Jesus in die Knie gehen, auf Augenhöhe mit den Kindern. Und er segnet die Kinder. Segnen heißt gutheißen.
Martin Luther hat diese Geschichte aus dem Markus-Evangelium für so wichtig gehalten, dass er empfohlen hat, sie wie Fürstenbriefe bei Hofe zu behandeln und dreimal zu lesen. Da hat er Recht, finde ich. Denn Jesus zeigt uns in dieser Geschichte, was Kinder brauchen: Jemanden, der ihnen sagt: „Gut, dass es dich gibt“. Den Schutz einer Umarmung. Begegnung mit ihnen auf Augenhöhe. Heilsame Zuwendung und gute Versorgung.
In Österreich leben mehr als 190.000 Kinder mit chronischen Krankheiten. Fast ein Viertel der Minderjährigen leidet aktuell an einer psychischen Erkrankung. 60.000 Kinder erhalten nicht die für sie notwendige Therapie. Es gibt zu wenige kostenfreie Plätze für Psycho-, Physio- oder Ergotherapie und elendslange Wartezeiten. Oft finden Eltern keinen Kindergartenplatz oder keine Nachmittagsbetreuung für ihr krankes Kind. Ohne Betreuung können Mütter nicht arbeiten gehen. Armut ist die Folge. Wie im Falle von Noah.
Kinder wie Noah anzunehmen heißt: sorgende Zuwendung, Aufmerksamkeit und Zeit, Therapien und ein Kindergartenplatz.