Der seltsame König

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über Leid als Teil des Menschseins

„Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“, heißt es in einem immer noch gern gesungenen Kirchenlied aus dem Jahr 1680. Wer ist dieser mächtige König? Das ist das große Thema der Karwoche, die vor uns liegt.

Sie beginnt heute, am Palmsonntag, mit der Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem. Jesus kommt in die Stadt, die Menschen breiten Kleider und grüne Zweige vor ihm aus, rufen ihm zu: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ Hosianna! Hilf doch! Ein Fleh- oder Jubelruf, gerichtet an Gott oder einen König. Ein seltsamer König ist Jesus. Er reitet auf einem Esel. Nicht auf einem Pferd, wie wir es von einem König erwarten würden. Der Esel ist in biblischen Zeiten das Last- und Reittier, das Pferd hingegen war verbunden mit Krieg, Luxus und Hochmut. Nicht als Kriegsherr kommt Jesus, sondern als Friedensfürst.

Doch was ihm in den nächsten Tagen widerfahren wird, ist weder friedlich noch fürstlich: Jesus wird in den Garten Gethsemane gehen und Gott in Todesangst anflehen, diesen Kelch an ihm vorüber gehen zu lassen. Jesus wird verhaftet, verhört und verleumdet werden, geschlagen, bespuckt und beschimpft. Mit einer Dornenkrone gekrönt. Es wird qualvoll am Kreuz sterben und „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ schreien. Ohnmächtig, hilflos, schwach. Ein wahrhaft seltsamer König.

„Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns“, schreibt der bekannte evangelische Theologe und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer. Er schreibt diese Worte in einem Brief an seinen Freund Eberhard Bethge aus dem Gefängnis. Am 16. Juli 1944, knapp neun Monate, bevor er von den Nazis hingerichtet wird. Die Religiosität verweist uns Menschen in unserer Not normalerweise an die Macht Gottes, meint Bonhoeffer. Die Bibel aber verweist uns an die Ohnmacht Gottes, nur der leidende Gott kann helfen.

Das ist ein schwieriger Gedanke, den ich Ihnen heute da zumute, liebe Leserinnen und Leser. Gott ist der König, der sich selbst dem Leid aussetzt. Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden. Was diesem Mensch gewordenen Gott widerfährt, erzählt von Gott – aber auch davon, was zum Menschsein gehört: Leiden, Ohnmacht, Schmerz. Das wollen wir nicht gerne sehen. Unser Ideal ist ein schmerzfreies und leidfreies Leben. Das ist verständlich. Ich denke nicht, dass Sinn im Leiden liegt. Aber wer Leiden nicht sehen will, der sieht auch die Menschen, die leiden, nicht. Vergisst sie, lässt sie alleine. Gott sieht die Menschen, die leiden. Er gehört zu ihnen. Davon erzählt die bevorstehende Karwoche.

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