Schönborn: Ökumene braucht interreligiöse Offenheit
Gottesdienst in der Lutherischen Stadtkirche zu Beginn des Ökumenischen Empfangs
Wien (epdÖ) – Ökumene braucht nicht nur das Streben nach Einheit unter den christlichen Kirchen, sondern auch interreligiöse Offenheit. Dafür hat sich Kardinal Christoph Schönborn bei seinem traditionellen Ökumene-Empfang in der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen am Mittwochabend, 25. Jänner, in Wien ausgesprochen. Zahlreiche Spitzen der Kirchen waren der Einladung des Wiener Erzbischofs zu dieser Begegnung gefolgt, die erstmals seit 2020 nach coronabedingter Unterbrechung wieder stattfinden konnte. Dabei ließ der Kardinal mit der Mitteilung aufhorchen, dass er von der Arabischen Liga im Februar zu einem Dialog nach Riad eingeladen worden sei.
Schönborn erinnerte an Papst Benedikt XVI., der zur Ökumene gemeint habe: „Geht es nicht letztlich darum, aufeinander zu hören und voneinander zu lernen, was es heißt, heute Christ zu sein?“ Diese Worte könne und müsse man weiter denken im Blick auf die große, abrahamitische Ökumene und daher fragen: „Geht es nicht letztlich darum, aufeinander zu hören und voneinander zu lernen, was es heißt, heute Mensch zu sein?“ Sich des Menschseins als fundamentale Grundlage für jeden fruchtbaren Dialog, der auch die Wahrheitsfrage einschließe, zu besinnen, sei die große Herausforderung, der sich gerade Papst Franziskus stelle, betonte der Kardinal. Ausdruck dieses Bemühens sei die sogenannte „Abu Dhabi-Erklärung“ vom 4. Februar 2019. Sie trägt den Titel „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“, und wurde vom Papst und vom sunnitischen Großimam Ahmad Al-Tayyeb unterzeichnet.
Zu den grundlegenden Voraussetzungen des Menschseins gehöre, dass „alle von einer Frau geboren wurden und einen Vater haben“, hielt der Kardinal fest. Zudem teilten die abrahamitischen Religionen die fundamentale Überzeugung: „Wir haben alle ausnahmslos Ansehen in den Augen Gottes.“ Mit dieser Aussage nahm der Wiener Erzbischof auch Bezug auf die „bewegende Predigt und den berührenden ökumenischen Gottesdienst“, der zuvor in der Lutherischen Stadtkirche stattgefunden hatte und von Oberkirchenrätin Ingrid Bachler, Pfarrerin Julia Schnizlein und Pfarrerin Eva Harasta in Vertretung des kurzfristig erkrankten Bischofs Michael Chalupka gestaltet wurde.
Zum Ökumenischen Empfang, der vom früheren Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Domdekan Rudolf Prokschi, moderiert wurden, war auch der griechisch-orthodoxe Metropolit und Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz, Erzbischof Arsenios Kardamaki, gekommen. Seitens der Katholischen Kirchen waren u.a. die Wiener Weihbischöfe Franz Scharl und Stephan Turnovszky sowie der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, anwesend. Unter den Teilnehmer*innen war auch der neue ÖRKÖ-Vorsitzende, der armenisch-apostolische Bischof Tiran Petrosyan.
Von evangelischer Seite nahmen u.a. der Präsident der Generalsynode, Peter Krömer, die Oberkirchenrätin und stellvertretende ÖRKÖ-Vorsitzende Ingrid Bachler, der Wiener Superintendent Matthias Geist und Superintendentialkuratorin Petra Mandl, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld und der evangelisch-methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs teil. Weiters waren der russisch-orthodoxe Bischof Aleksij Zanochkin, der koptisch-orthodoxe Bischof Anba Gabriel, der syrisch-orthodoxe Bischofsvikar Emanuel Aydin und der anglikanische Pfarrer Patrick Curran gekommen.
„Ökumene viribus unitis“
Bischof Petrosyan betonte in seiner Vorstellung als neuer ÖRKÖ-Vorsitzender die gute ökumenische Zusammenarbeit, die in Österreich „viribus unitis“ erfolge. Vor allem in der Erzdiözese Wien werde „Toleranz und Dialog tiefsinnig und ernsthaft verstanden und gepflegt“. Eine Besonderheit im internationalen Vergleich sei auch, dass „die christlichen Kirchen eine wichtige Stimme in der Gesellschaft sind“. Der ÖRKÖ-Vorsitzende nutzte die Gelegenheit, um dem Gastgeber zu seinem kürzlich stattgefundenen Geburtstag und zum bevorstehenden „Silbernen Kardinalsjubiläum“ zu gratulieren.
Die Theologische Referentin von Bischof Chalupka, Pfarrerin Eva Harasta, berichtete beim Empfang über die letztjährige Vollversammlung des Weltkirchenrates in Karlsruhe, an der sie mit Bischof Chalupka als Delegierte teilgenommen hatte. Dass zwei lutherische Geistliche die Evangelische Kirche A. und H.B. vertraten, so „ein Zeichen des Vertrauens“ zwischen der lutherischen und der reformierten Kirche. Das klare Votum der 352 Mitgliedskirchen für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit bestärke auch die Evangelische Kirche A.u.H.B. in Österreich, die 2022 als das „Jahr der Schöpfung“ begangen habe. Auch die Situation in der Ukraine habe die Vollversammlung geprägt, die den Krieg klar als illegale Aggression Russlands benannt habe. Gleichzeitig habe man betont, dass die Aufrechterhaltung von Dialogen über die Konfliktlinien hinweg eine zentrale Aufgabe des ÖRK „ist und bleibt“, so Harasta. Dass eine russisch-orthodoxe Delegation in Karlsruhe teilgenommen und auch die Erklärung zum Ukrainekrieg mitbeschlossen habe, sei ein „Erfolg der diplomatischen Bemühungen auf beiden Seiten“.
Im Zuge des Empfangs wurde auch der „Weg der Versöhnung“ vorgestellt, der sich seit 25 Jahren für eine versöhnte Einheit unter Christinnen und Christen einsetzt. Wie deren Vorsitzender, Pastor Martin Griesfelder von der Freien Christengemeinde, ausführte, gebe es dabei ein breites christliches Spektrum: neben katholischen, evangelischen, evangelikalen, pfingstlich-charismatischen und ostkirchlichen Gläubigen, seien auch messianisch-jüdische eingebunden. Pfarrer Thomas Dopplinger, der die Evangelische Kirche in der Initiative vertritt, dankte dem katholischen Diakon und Mitbegründer des „Weg der Versöhnung“, Johannes Fichtenbauer, für seinen unermüdlichen und verbindenden Einsatz über alle Konfessionsgrenzen hinweg.
Abschließend sprach Kardinal Schönborn dem früheren ÖRKÖ-Vorsitzenden Rudolf Prokschi seinen Dank aus und würdigte Prokschis Expertise und das langjährige ökumenische Engagement.
„Gott, der mich sieht“
Am Beginn des ökumenischen Gottesdienstes, der unmittelbar vor dem Empfang stattgefunden hatte, verwies die Pfarrerin der Lutherischen Stadtkirche, Julia Schnizlein, auf die Geschichte des Hauses. Das Gotteshaus in der Dorotheergasse 18 ist mit 240 Jahren die älteste evangelische Kirche in Wien. Nach dem Toleranzpatent von Kaiser Joseph II. haben die Protestanten 1783 das ehemalige katholische Klarissinnenkloster erworben und zur evangelischen Kirche umgestaltet.
In der Predigt ging Pfarrerin Schnizlein auf die alttestamentliche Lesung aus dem Buch Genesis über Hagar ein. Als eine ägyptische Sklavin lebte sie in der Sippe Abrahams und gebar ihm gleichsam als Leihmutter mit Ismael einen Sohn und Erben. Durch diese biblische Geschichte werde deutlich, dass Gott eine fremde Sklavin nicht fallen lasse, sondern sie wahrnehme, ihr Ansehen gebe und letztlich zur Adressatin einer Verheißung mache. Hagars Geschichte stehe stellvertretend für alle, „die übersehen werden, die am Rand stehen“.
„Gott hat einen universellen Blick auf alle“, betonte Schnizlein, die auf eine weitere Besonderheit in dieser biblischen Erzählung hinwies: Mit Hagar war eine Frau der erste Mensch, der in der Bibel Gott einen Namen geben durfte, indem sie zu ihm sagte: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Dieses Bibelwort, das auch als Losung durch 2023 begleitet, sei eine „Aufforderung an uns alle“, Menschen aus dem Schatten ins Licht zu holen und gegen Unrecht einzutreten, „wo immer es uns begegnet“.