Wahre Schönheit
Michael Chalupka über Herbstblätter und den Blick in den Spiegel
Es gibt Schöneres als Sitzungen, bei denen schwierige Themen zu behandeln sind. Neulich legte mir jemand vor der Sitzung ein Herbstblatt auf meinen Platz. Ein Ahornblatt, auf einer Seite noch im Grün des Sommers, auf der anderen Seite schon Feuerrot. Das feine Gerüst, das das Blatt trägt, hatte seine Farbe schon gewechselt. Zarte rote Linien gaben dem Ganzen Struktur und Ordnung. Ein Moment der Schönheit am Beginn des Arbeitstages. In der Schönheit spiegelt sich Gottes Schöpfung.
Dabei beginnen die Morgen meines Lebens gewöhnlich ganz anders. Was ich da sehe, erfreut mich wenig. Im Spiegel, das stoppelbärtige Gesicht eines Mannes im Herbst des Lebens. Augen noch gerötet vom Schlaf. Tränensäcke, die ihren Namen verdienen, blicken mir entgegen. Spiegelt sich da Gottes Schöpfung?
Bevor sich mir der Anblick auf’s Gemüt schlägt, schlage ich die Bibel auf und lese in den Psalmen: „Du hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“
Ich bin wunderbar gemacht, sagt der Psalmist und das erkennt meine Seele. Das verstanden, kann ich auch den Anblick im Spiegel besser ertragen, denn das Gesicht, das mir entgegenschaut, lächelt auf einmal. Und ich gehe schnell aus dem Haus und bestaune die bunten Blätter. Ein Moment wahrer Schönheit am Beginn des Tages tut gut. Denn in der Schönheit spiegelt sich Gottes Schöpfung.