Schiefermair zum Ethikunterricht: „Kein Kampf um Schülerinnen und Schüler“
Oberkirchenrat im Video-Interview
Oberkirchenrat im Video-Interview
Wien (epdÖ) – Schülerinnen und Schüler, die keinen Religionsunterricht besuchen, müssen künftig in den Ethikunterricht. Nach der Ankündigung der Bundesregierung, das Fach Ethik werde ab dem Schuljahr 2020/21 stufenweise eingeführt, sieht der für den Religionsunterricht zuständige evangelische Oberkirchenrat Karl Schiefermair noch viele Fragen ungeklärt. Mit dem Evangelischen Pressedienst sprach Schiefermair auch über eine mögliche Konkurrenz von Ethik- und Religionsunterricht, und darüber, warum es nicht nur eine Ethik gibt.
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass es künftig für Schülerinnen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, verpflichtenden Ethikunterricht geben soll – zunächst ab der 9. Schulstufe. Sie haben zuletzt gefordert, nach 20 Jahren Ethik als Schulversuch solle endlich eine Entscheidung getroffen werden. Sind jetzt all Ihre Wünsche erfüllt?
Meine Wünsche sicher nicht. Im Regierungsprogramm ist gestanden, dass die jahrelange Vorarbeit für die Einführung des Ethikunterrichts nun auch umgesetzt wird. Die Frage ist, wie wir, die wir den Religionsunterricht umzusetzen haben, damit umgehen, wie wir an der Organisation und Ausgestaltung dieses Faches beteiligt werden. Das interessiert die Kirchen, das wurde von unserer Seite auch eingebracht und das werden wir auch nicht müde einzubringen. Wir werden uns jetzt öfters mit Vertretern des Bildungsministeriums treffen und sehr viele Fragen, die zunächst einmal nur aufgeworfen wurden, gemeinsam bearbeiten.
Haben Sie Befürchtungen, dass SchülerInnen im neuen Modell sagen: Jetzt lassen wir den Religionsunterricht und gehen lieber in die Ethikstunde?
An den Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS) rechne hier mit keinem großen Einbruch der Schüler- oder Stundenzahlen. In den Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen (BMHS) möchte ich mich keinen Illusionen hingeben. Wir müssen dort teilweise sehr mühsam Stunden organisieren, teilweise zu sehr ungünstigen Zeiten. Wenn hier der Ethikunterricht an dem jeweiligen Standort eine günstigere Stundenposition bekommt, dann kann man die Schülerinnen und Schüler verstehen, die diesen Unterricht besuchen und nicht den ganz am Rande gelegenen Religionsunterricht. Da kann es sein, dass diese eine Stunde an den BMHS für uns auch noch wegfällt.
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Erleben Lehrerinnen und Lehrer jetzt eine Konkurrenzsituation wegen des Ethikunterrichts?
Nicht wirklich, da es durch die Schulversuche schon die Situation gibt, dass es neben dem Religionsunterricht auch einen Ethikunterricht gibt. Die Untersuchungen zeigen, dass es sehr selten zu Konkurrenzsituationen, also dem Kampf um einen Schüler oder eine Schülerin, kommt.
Worum kann es in einem konfessionslosen Ethikunterricht gehen? Um Vermittlung von Werten? Oder um Reflexion auf Wertesysteme? Gibt es einen einheitlichen Wertekanon, den man „vermitteln” könnte?
Sie sprechen ein Problem an, das schon im Namen des Ethikunterrichts liegt. Das erste, was ich den Vertretern im Bildungsministerium geraten habe, war, sich den Namen noch einmal zu überlegen. Der Religionspädagoge Anton Bucher schlägt in seiner Evaluation von 2001 vor, das Fach „Ethik und Religionskunde“ zu nennen. „Die“ Ethik gibt es nicht. Es gibt verschiedene Ethiken, wie es verschiedene Religionen gibt.
Das Fach ist also nicht normativ?
Alle Lehrpläne, die ich kenne, gehen von Menschenrechten und den menschlichen Grundechten seit der Aufklärung aus. Es würde in der Hinsicht niemand sagen, der Ethikunterricht ist ein beliebiges Fach, so sehen es auch die Lehrplanschreiber nicht. In allen anderen Bereichen, wenn es um die Ethiken verschiedener Religionen geht, sagen sie, das ist nicht beliebig, aber differenziert darzustellen. Das Fach birgt in sich eine hohe Notwendigkeit didaktischer Kunstfertigkeit.
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Worin unterscheidet sich der Religionsunterricht künftig vom Ethikunterricht?
Wir sind uns sicher einig, dass wir alle auf die Herausforderungen, die auf die Menschheit zukommen, antworten müssen. Wir haben aber natürlich vom Religionsunterricht her eine Position einzunehmen. Uns ist klar, dass das Christentum für uns nicht nur Schaffer der Kultur ist, in der wir leben, sondern auch gelebt werden will, heute und jetzt, und wir der Überzeugung sind, dass das der richtige Weg ist. Das heißt, wir werden nicht müde werden, die wesentlichen Stücke des Christentums in evangelischer Prägung auch weiter mitzuteilen.
Bräuchte es nicht einen speziellen Ethikunterricht für alle?
Natürlich ist das eine Frage der Darstellung im jeweiligen Unterricht. Hier sollte sich, denke ich, der Ethikunterricht vom Religionsunterricht deutlich unterscheiden. Aber von den Inhalten ist es nicht notwendig, dass junge Menschen, die in den Religionsunterricht gehen, glauben, sie würden etwas im Ethikunterricht versäumen. Das kann ich für den evangelischen Religionsunterricht ausschließen.
Der Start des Ethikunterrichts wurde um ein Jahr verzögert mit dem Argument, es gäbe zu wenige ausgebildete EthiklehrerInnen. Teilen Sie diese Einschätzung, und wenn ja, wird die Situation ein Jahr später besser sein?
Ich teile die Einschätzung, und sage zur zweiten Frage: Nein. Es ist nicht möglich, auf wirklichem Lehramtsniveau in kürzester Zeit Menschen für so ein wichtiges Fach auszubilden. Die Vorstellungen, die es jetzt im Ministerium gibt, sehe ich sehr kritisch.
Können oder sollen ReligionslehrerInnen auch Ethik unterrichten?
In den derzeitigen Bestimmungen ist es möglich, dass Menschen mit Lehrbefähigungen Kurse machen, um Ethikunterricht anzubieten. Ich wüsste keine Situation, in der man es Religionslehrerinnen und -lehrern verbieten würde – weil sie solche sind – auch Ethikunterricht anzubieten. Das wäre eine krasse Diskriminierung und müsste beeinsprucht werden.
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