Moser: Frauen sagen zu oft „Nein“ zu Führungspositionen
Video-Interview: Neue Diakonie-Direktorin über Feminismus und die Zukunft der Kirche
Wien (epdÖ) – Die evangelische Pfarrerin Maria Katharina Moser ist ab 1. September Direktorin der Diakonie Österreich. Sie folgt auf Michael Chalupka, der das Amt 24 Jahre lang ausgeübt hatte. Der Evangelische Pressedienst hat mit der gebürtigen Oberösterreicherin, die erst mit 39 evangelisch wurde, über Frauen in Führungspositionen, die Zukunft der Kirche und die Schwierigkeit gesprochen, hilfsbedürftige Menschen nicht zu Opfern werden zu lassen.
„Wäre in katholischer Kirche nicht Pfarrerin geworden“
Selbst wenn es ihr möglich gewesen wäre, sagt Moser, die katholische Theologie studierte und in der Wissenschaft tätig war, wäre sie in der Römisch-katholischen Kirche nicht Pfarrerin geworden: „Weil das Amtsverständnis in der Evangelischen und der Römisch-katholischen Kirche einfach unterschiedlich und das Priestertum aller Gläubigen bei uns in der Evangelischen Kirche ganz zentral ist.“ Die wesensmäßige Unterscheidung zwischen Priestern und Laien sei für sie nicht nachvollziehbar: „Das ist nicht das, wie ich mir Pfarrerinsein denke. Für mich ist es wichtig, als Pfarrerin als Mitglied mitten in der Gemeinde zu stehen, mit besonderen Aufgaben.“ Schon vor ihrer Konversion habe sie sich manchmal im Scherz als „Geheimprotestantin“ bezeichnet – eine Anspielung auf die Evangelischen in der Zeit der Gegenreformation, als der protestantische Glaube in Österreich verboten war. Aber das sei vor allem Koketterie gewesen, denn „gerade wenn man das sagt ist schon klar, dass das nicht geheim ist. Es sollte die Affinität und das Mich-angezogen-fühlen von dem, wie die Evangelische Kirche den christlichen Glauben lebt, ausdrücken, auf den Punkt bringen, und gleichzeitig auch ein bisschen selbstkritisch deutlich machen: Mitglied bin ich noch nicht.“
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„Es geht um die Wahlmöglichkeit für Frauen“
An der Spitze der Diakonie steht Moser ab September als erste Frau. Als Erklärung für die noch immer geringe Zahl an Frauen in Führungspositionen – auch im zivilgesellschaftlichen Bereich – nennt sie zwei Gründe. Zum einen dächten Männer bei Neubesetzungen von Stellen meist immer noch an Männer. Zum anderen lehnten Frauen bei entsprechenden Angeboten viel zu oft ab. „Ich glaube, dass Frauen oft Nein sagen hat damit zu tun, dass Leitungspositionen noch nicht so gestaltet sind, dass sie gut mit Familie vereinbar sind. Das ist natürlich für Männer auch ein Thema, aber in der Praxis beschäftigt das offensichtlich die Frauen noch mehr.“ Für die frühere Wissenschaftlerin und Journalistin, die im Bereich der feministischen Theologie promovierte, ist vor allem ein sehr praktischer Aspekt des Feminismus bedeutsam: „Es geht um die Wahlmöglichkeiten für Frauen, es geht darum, dass alles, was Frauen wichtig ist, gut miteinander vereinbar ist, und dass das auch alles für Männer gilt.“ Ihre Vorstellung von Feminismus beziehe sich vor allem auf das Geschlechterverhältnis. Als Diakonie-Direktorin wolle sie sich deshalb dafür einsetzen, klassische „Frauenberufe“ in der Pflege, im Kindergarten oder der Volksschule auch für Männer attraktiv zu machen und zudem in ihrer Reputation aufzuwerten: „Das ist ganz, ganz wichtige Arbeit in und für unsere Gesellschaft, und das muss wertgeschätzt werden.“
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Zukunft der Kirche liegt vor Ort
Die gegenwärtige Aufgabe der Kirche sieht Moser nicht in großen Projekten, sondern vor Ort: „Wir sind derzeit in einer gesellschaftlichen Situation, wo es wenig Nähe gibt – und auch wenig Sicherheit. Das hat auch mit medialen Veränderungen zu tun. Über Facebook oder Twitter glauben wir, wir sind gut eingebunden, wir haben Freunde – das sind ja auch die Begriffe die da verwendet werden. Aber in Wahrheit sind das sehr distante und sehr unverbindliche Beziehungen.“ Diese Distanz führe auch zu Unsicherheit, während zugleich das Bedürfnis nach Verbindlichkeit und Nähe da sei; hier müsse die Kirche ihre Angebote setzen: „in Gemeinschaft, Hausbesuchen, unseren Ritualen, dem regelmäßigen Gottesdienst.“
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Geht nicht darum, „arme Hascherl“ zu versorgen
Die medial inflationäre Verwendung des Opferbegriffs sieht Moser kritisch, vor allem im Kontext einer Hilfseinrichtung. Um Menschen, die Hilfe benötigen, nicht zu Opfern werden zu lassen, müsse man ihre Geschichten erzählen. Sie nennt als Beispiel einen jungen Mann mit Autismus, der lange keine Arbeit fand, dann aber von der Diakonie Unterstützung bekam und jetzt als Regalbetreuer in einem Supermarkt arbeitet: „Er ist der beste Regalbetreuer ‚ever‘, weil er genau weiß was wo steht, und er weiß jedes Ablaufdatum auswendig.“ Es gehe nicht darum, die Menschen als „arme Hascherln“ zu versorgen, sondern sie als Menschen „mit Fähigkeiten, mit Ressourcen wahrzunehmen“: „Wenn wir diese Geschichten erzählen dann ist klar, dass unsere Klienten und Klientinnen nicht Opfer sind, sondern wie jeder Mensch als erstes Wertschätzung brauchen, Unterstützung brauchen, an dem einen oder anderen Punkt Hilfe brauchen, und dann können sie gut ihr Leben so leben wie sie es gerne leben möchten.“
Nachricht an den Bundeskanzler
Es ist bereits Tradition in der Diakonie, in der Adventszeit die Ministerien zu besuchen und einen Adventkranz – er wurde im 19. Jahrhundert in einer Einrichtung der Diakonie erfunden – als Geschenk mitzubringen. Dabei werden auch Anliegen deponiert. Was würde Maria Katharina Moser Kanzler Sebastian Kurz ausrichten, wenn nächste Woche bereits der erste Adventsonntag wäre? „Es wäre mir wichtig, dem Bundeskanzler zu sagen: Wir müssen ganz besonders hin schauen auf unsere Kinder und auf unsere Jugendlichen, und wir müssen schauen dass kein Kind zurückbleibt.“ Kinder benötigten vor allem das Zutrauen in ihre Fähigkeiten, ohne Stigmatisierung: „Wenn uns ständig gesagt wird ‚Du bist blöd‘ und ‚Du schaffst eh nichts‘ – wie soll man da was hinkriegen?“ Besonders wichtig sei ihr daher, „ein gesellschaftliches Klima zu erzeugen, wo es wirklich zunächst einmal diese Wertschätzung gibt für Kinder und Jugendliche, und die Unterstützung, die sie brauchen.“
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