Mit-leben

 
von Evangelischer Pressedienst

Maria Katharina Moser über geteilte Freud und geteiltes Leid

Unlängst im Gottesdienst. Die Pfarrerin hebt an zur Predigt: „Wir sind schon exotische Tiere“, sagt sie. „Es ist 10.00 in der Früh, draußen scheint die Sonne. Normale Menschen schlafen noch oder brechen auf zum Familienausflug. Und wir exotischen Tiere sind aufgestanden und sitzen hier in der Kirche …“ „Ich bin gerne aufgestanden!“ tönt es fröhlich aus den hinteren Bankreihen. Es ist M., die sich da einschaltet ins gottesdienstliche Geschehen. M. lebt in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderungen in der Nachbarschaft. Wenn sie rüber kommt in die Kirche, ist sie immer voll bei der Sache.

Der Gottesdienst nimmt seinen Lauf. Wir halten Fürbitte und gedenken der verstorbenen Tante eines Gemeindemitglieds. Es ist ganz still in der Kirche, als die Pfarrerin eine Kerze entzündet und aus ihrem Leben und auch von ihrer Krankheit erzählt: „Die Verstorbene hatte schweren Diabetes. So sehr sie sich auch bemüht hat um Vorsorge, die Krankheit war nicht in den Griff zu bekommen. Schließlich musste ein Bein amputiert werden …“ Schräg hinter mir seufzt M.: „Geh Scheiße …“ Die Reaktion kommt tief aus ihrem Inneren. Mir steigen Tränen in die Augen. „Ja, Scheiße“, denke ich, „was soll man sonst sagen?“ M. spricht aus, was sich wohl viele denken und nicht zu sagen getrauen, schon gar nicht im Gottesdienst.

Nach den Fürbitten singen wir. Dann kommen die Abkündigungen. „Nächsten Sonntag halte ich wieder den Gottesdienst“, kündigt die Pfarrerin an. Und M. ruft: „Da komme ich wieder!“

Ich muss schmunzeln. M. hat mich angesteckt mit ihrer Freude. Genauso wie vorhin, beim Gedenken, mit ihrem Mit-leiden. So geht Gottesdienst, denke ich mir. Ganz wie es uns der Apostel Paulus im Römer-Brief ans Herz legt: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.“

Wenn ich als Kind geweint habe, zum Beispiel weil ich mir weh getan habe, hat meine Schwester mitzuweinen begonnen, auch wenn der Grund, der mich zum Weinen gebracht hat, sie gar nicht betroffen hat. Mitgefühl ist das Gegenteil von Sich-Abschotten. Mitgefühl heißt, sich berühren zu lassen von den Gefühlen anderer.

Unsere Welt braucht dieses Mit-fühlen und Mit-leben ganz dringend. In traurigen Momenten genauso wie in fröhlichen. Und beides, das Weinen und die Freude, kann nebeneinanderstehen, hat in ein und demselben Gottesdienst Platz. Fröhlich in der Hoffnung, können wir auch geduldig im Trübsal sein. Und beides geht nur miteinander. Danke, liebe M., für dein Mit-leben! Und dass du beharrlich wieder in den Gottesdienst kommen willst!

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