„Mechaye Hametim“: Ökumenisches Gedenken an die Novemberpogrome
Gottesdienst in Wiener Ruprechtskirche – Wiener Superintendent Geist erinnert an NS-Opfer Jochen Klepper
Wien (epdÖ) – Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen haben am Mittwochabend in der Wiener Ruprechtskirche der Novemberpogrome von 1938 gedacht. In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des Nazi-Terrors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp unter 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.
Liturgisch gestalteten den Gottesdienst der Rektor der Ruprechtskirche, Pater Alois Riedlsperger, und die evangelische Hochschulseelsorgerin Katharina Payk. Die Predigt hielt der Wiener Superintendent Matthias Geist. Er erinnerte an einen der bedeutendsten religiösen Dichter Deutschlands: Jochen Klepper. Um Verhaftung, KZ und Ermordung zu entgehen, wählte der Dichter mit seiner Familie vor 80 Jahren den Weg in den Tod.
Das Schicksal der Familie Klepper „wirft ein Licht auf Schuld, auf Versagen, ja im Grunde auf menschenverachtende und unwürdige Gemeinheit, wie wir sie aus der unbeschreibbaren Nazi-Zeit kennen und zu erinnern haben. Und ein Licht auf dieses unsägliche sinnlose Leid der völkischen und religiösen Verachtungspolitik“, so Geist wörtlich.
Die Erinnerung an Jochen Klepper bleibe auch Mahnung für Gegenwärtiges an anderen Orten, „sagenhafte Weltherrscher“, Vernichtungsschläge an der Zivilbevölkerung, religiöse und quasireligiös motivierte Gewalt in Familie und Gesellschaft oder „erneut zerrissene jüdische Fahnen am Campus der Religionen in der Seestadt als Zeichen einer unsäglichen Zerrissenheit dieser Welt“, so der Superintendent.
Klepper habe sein Leben der literarischen Kunst christlicher Frömmigkeit gewidmet: „Seine Gedichte und Liedtexte erfassen das Heil und die Neuheit unter Gottes Himmel, die uns auch zu Mechaye Hametim erreichen will: Der die Toten auferweckt!“, sagte der Superintendent. „Das Leben, das Jochen Klepper mit seiner Frau und Stieftochter sein lassen musste, war vorbei. Und er blickte auf das Bild des segnenden Christus, der um uns ringt. Weil er sich aufgegeben wusste und eine Deportation wohl seelisch nicht überlebt hätte und beiden Frauen nicht zumuten wollte, darum wusste er, dass auch das letzte irdische Ringen nicht vergeblich sein würde.“
Geist: „Der Fingerzeig an uns als Christinnen und Christen, als Jüdinnen und Juden, als muslimische Geschwister und auch als Religionsabweisende oder ‚Ferne‘, mahnt uns: Behaltet diese Erinnerung wach, dass wir auf ein Ziel zugehen, das nicht unseres mehr ist. Die Auferweckung, die Neuheit der überwundenen Erde wird kein zaghaftes Ringen mehr sein, sondern Gottes Gerechtigkeit neu einsehen lassen. Diese Einsicht möge uns über alle Völker hinweg neu zum Leben führen. Zum Leben aus Frieden, Nächstenliebe, Wertschätzung und Barmherzigkeit.“
Zum ökumenischen Gedenken eingeladen hatte die Gemeinde der Ruprechtskirche gemeinsam mit einer Reihe von christlichen und jüdischen Organisationen, darunter auch die Evangelische Hochschulgemeinde. Nach dem Gottesdienst fand wieder ein Schweigegang zum Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoa auf dem Judenplatz statt. Dort trafen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit jenen des „Light of Hope“-Marsches vom Heldenplatz zum Judenplatz zusammen, zu dem die Jüdische Jugend Wiens eingeladen hatte.