Leistung und Gerechtigkeit
Maria Katharina Moser über das Nötigste für ein würdevolles Leben
Viel wurde diskutiert in den letzten Wochen über Armut und Leistung. Die Debatten bewegen Peter. Nach dem Gottesdienst kommen wir ins Gespräch darüber. Was die christliche Sicht sei, fragt Peter.
Die Bibel erzählt, dass Jesus ähnliche Fragen gestellt wurden. Als Antwort hat Jesus Geschichten erzählt, so genannte Gleichnisse wie das folgende: Das Himmelreich gleicht einem Gutsherrn, der in der Früh hinausgeht, um Arbeiter für einen Weinberg einzustellen. Er vereinbart einen Denar Lohn mit ihnen. Nach drei Stunden geht er wieder hinaus, stellt weitere Arbeiter ein, die bislang keine Arbeit gefunden haben, und verspricht, ihnen zu geben, was gerecht ist. Dasselbe wiederholt sich nach sechs, neun und elf Stunden. Am Abend wird der Lohn ausgezahlt: „Und als die von der elften Stunde kamen, erhielten sie einen Denar. Und als die ersten kamen, glaubten sie, dass sie mehr erhalten würden. Doch auch sie erhielten je einen Denar. Als sie ihn aber erhalten hatten, beschwerten sie sich bei dem Gutsherrn und sagten: ‚Diese Letzten haben eine einzige Stunde gearbeitet, und du hast sie uns, die wir die Last und die Hitze des Tages ertragen haben, gleichgestellt!‘“
Beim Lesen des Gleichnisses identifizieren wir uns leicht mit denen, die den ganzen Tag unter der Sonne geschuftet haben. Wir nehmen ihre Perspektive ein und erwarten, dass sie mehr bekommen als die, die weniger gearbeitet haben. Doch sie bekommen auch einen Denar. Die länger gearbeitet haben, sind empört. Und wir Leser und Leserinnen mit ihnen. Der Gutsherr selbst findet das gut und gerecht. Er und die ersten Arbeiter hatten sich ja auf den einen Denar geeinigt. Und er, der Gutsherr, will eben dem Letzten dasselbe geben. „Schaust du etwa böse drein, weil ich gut bin?“ fragt der Gutsherr den empörten Arbeiter. Er sieht die Sache aus einer anderen Perspektive: aus der Perspektive derer, die sich ums tägliche Überleben sorgen. Denn ein Denar ist kein beliebiger Betrag. Ein Denar war genau das, was eine Familie damals pro Tag zum Leben brauchte.
Tagelöhner waren soziale Absteiger. Früher waren sie Kleinbauern. Jetzt mussten sie für Großgrundbesitzer arbeiten. Und wussten am Abend nicht, ob der nächste Tag Arbeit und genug Geld fürs Essen bringen würde. Der Gutsherr nimmt die Lebenswirklichkeit der Tagelöhner wahr, erkennt ihre Sorgen und Bedürfnisse. Er gibt ihnen, was sie und ihre Familie täglich zum Überleben brauchen.
Gerechtigkeit bedeutet mehr, als dass Leistung und Gegenleistung einander entsprechen. Gerecht ist, wenn die Grundbedürfnisse gestillt werden, wenn das Mindeste gesichert ist – Essen, eine warme Wohnung, Gesundheit. Jeder soll bekommen, was er zum Leben braucht.