Körtner warnt vor „Platonisierung“ des Christentums durch KI

 
von Evangelischer Pressedienst

Theologe betont in „Furche“-Gastbeitrag fehlende Glaubensbezeugung durch Künstliche Intelligenz

Wien (epdÖ) – Die Diskussionen um die Chancen und Gefahren von Künstlicher Intelligenz (KI) kreisen dem evangelischen Theologen Ulrich Körtner zufolge meist um ethische und politische Fragen zur Kontrolle und Regulierung digitaler Technik. In einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung „Furche“ vom 5. Oktober schreibt Körtner über die Gefahr einer „neuen Platonisierung des Christentums“ infolge der Ausbreitung von KI, welcher es gegenzusteuern gelte.

Der „vernehmende Glaube“ selbst lasse sich nicht simulieren, zeigt sich der Ordinarius für Systematische Theologie evangelisch-theologischen Fakultät der Uni Wien überzeugt. Auch könne „niemand im Glauben – nämlich darin, Gott über alle Dinge zu fürchten, zu lieben und zu vertrauen, durch einen anderen ersetzt werden“.

Das Hören und Verstehen selbst, als Akt der Rezeption, stelle in der reformatorischen Tradition einen Teil des Glaubens dar. Dieser könne laut Körtner mittels unterschiedlicher Medien geweckt werden. „Es ist letztlich ein geistliches Geschehen, das auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeführt wird“, so der Theologe. Personen könnten „als Zeugen persönlichen Glaubens und des göttlichen Wortes, die Rede und Antwort stehen“, durch keine KI und keinen Avatar ersetzt werden. Schließlich sei Glaube „ein ganzheitlicher Lebensakt, der sich wie unser endliches, leibliches Leben nicht simulieren lässt“.

In seinem Beitrag nahm Körtner zunächst Bezug auf den evangelischen Kirchentag im bayerischen Nürnberg im Mai diesen Jahres, auf dem zum ersten Mal ein vom KI-Programm ChatGPT verfasster Gottesdienst gefeiert wurde, sowie die folgenden geteilten Reaktionen. Dazu schreibt Körtner: „Neben praktischen und ethischen Fragen stellt sich die Grundsatzfrage, was überhaupt unter Glauben und Glaubenskommunikation im digitalen Zeitalter zu verstehen ist. Anders gefragt: Was hat das alles mit Gott zu tun?“

Aus der Feier ließen sich viele Fragen ableiten, so Körtner: Genügt am Ende die perfekte Simulation, um einen Gottesdienst zu feiern, und ein Prediger, „der nicht als Person aus Fleisch und Blut für das einsteht, was er sagt?“ Auch die Frage nach der Unterscheidung zwischen einem möglicherweise zeitversetzten Fernsehgottesdienst und einem Internet-Gottesdienst, der von einem Avatar geleitet wird, werde virulent.

Im digitalen Zeitalter scheine Gott aus der Welt der Algorithmen ins Nichts verschwunden zu sein. Die Macht, die einst Gott und seit der Aufklärung dem Menschen zugesprochen wurde, werde auf die allgegenwärtigen und scheinbar allmächtigen Algorithmen übertragen, kritisiert Körtner. „Entscheidend ist letztlich die Frage, ob Glauben und das Evangelium als Grund des Glaubens authentisch bezeugt oder nur simuliert werden“, unterstreicht der Theologe.

Im Hinblick auf die Körperlichkeit sei die aktuelle Zeit von einer eigentümlichen Paradoxie gekennzeichnet: „Einerseits erleben wir in allen Lebensbereichen einen ungeahnten Körperkult, bei dem die eigene Identität ganz auf die Körperlichkeit, das äußere Erscheinungsbild wie das körperliche Wohlbefinden, reduziert wird. Andererseits aber sind wir, wenn es um Künstliche Intelligenz und virtuelle Welten geht, Zeugen einer erstaunlichen Entmaterialisierung“, so Körtner weiter.

Allerdings sei der Mensch weder auf körperlose Intelligenz noch auf Körperlichkeit beschränkt, betont der Ethiker. Hier gelte es anzusetzen, wenn es darum gehe, sich den Herausforderungen der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz für Theologie und Kirche theologisch zu stellen. Auch für die Kommunikation des Evangeliums ließen sich digitale Formen einsetzen. „Weshalb sollte man nicht auf ein Medium wir ChatGPT bei der Predigtvorbereitung zurückgreifen, solange der Prediger oder die Predigerin noch die Verantwortung für den Inhalt trägt, der auf der Kanzel vorgetragen wird?“ fragt Körtner.

Entscheidend sei die Frage, ob Glauben und das Evangelium als Grund des Glaubens authentisch bezeugt oder nur simuliert werden. Glaube, als die „Erfahrung mit der Erfahrung“, könne eben nur der Mensch erleben. „Rechenprogramme machen keine Erfahrungen und schon gar nicht Erfahrungen mit Erfahrungen. Sie können sie bestenfalls simulieren“, schreibt der Theologe.

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