Warum der Karfreitag hier und heute wichtig ist
Ulrich Körtner: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein" - Kommentar in der Wiener Zeitung
Ulrich Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie (reformiert) an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, schreibt in einem Kommentar für die Wiener Zeitung, warum der Karfreitag hier und heute wichtig ist.
Einen Auszug daraus wird er auf der Karfreitags-Aktion in Wien (www.evang-wien.at/unser-karfreitag) präsentieren. Hier die ungekürzte Version:
Ich war 14 Jahre alt, als die Rockoper „Jesus Christ Superstar“ 1971 in New York uraufgeführt wurde. Derzeit läuft sie wieder einmal bei uns in Wien im Raimund Theater. Zwar hält sich das rockig-pathetische Werk aus der Zeit der Hippiebewegung an die Texte der biblischen Passionsgeschichte, aber eigentlich geht es dem Komponisten Andrew Lloyd Webber und dem Textdichter Tim Rice gar nicht so sehr um Jesus von Nazareth und seine Heilsbedeutung aus der Sicht des christlichen Glaubens als vielmehr um einen religiösen Superstar, einen Messias, der überall und zu allen Zeiten predigten könnte, der sich selbst überfordert und seine Fans am Ende enttäuscht.
Jesus, wie ihn uns die Evangelien schildern, war kein Superstar, kein Popstar mit gigantischer Bühnenshow, kein Guru, der sich von seinen Anhängern teure Limousinen finanzieren lässt, kein Fernsehprediger einer charismatischen Mega-Church, der Reichtum und Erfolg predigt und die Aufstiegssehnsüchte seiner Gläubigen aus armen Schichten zu nutzen weiß. Er gehörte nicht zum Kreis der Mächtigen, der Reichen, Schönen und Berühmten, sondern stand auf der Seite der Armen, der Kranken und Ausgestoßenen. Er nahm sich derer an, die Unrecht getan hatten und die wussten, dass sie auf Vergebung angewiesen sind. Er wandte sich denen zu, deren Leben verpfuscht war und die sich darum von Gott und der Welt verstoßen glaubten. Er predigte Gewaltlosigkeit und lehrte seine Jünger, selbst ihre Feinde zu lieben.
Arm kam er zur Welt, er lebte in freiwilliger Armut, ohne ein festes Dach über dem Kopf. Arm und verstoßen starb er am Kreuz. Sogar von seinem Gott, dessen anbrechende Herrschaft er in Wort und Tat verkündigt hatte, glaubte er sich in der Stunde des Todes verlassen. Doch von diesen Menschen bekennen wir Christen wie der römische Hauptmann unter dem Kreuz, dass er Gottes Sohn gewesen ist, Gottes letztes und letztgültiges Wort an alle Welt in Person. In ihm hat Gott, so glauben wir Christen, sein Ja zu uns Menschen, sein endgültiges Ja zu seiner Schöpfung gesprochen, und darauf sprechen wir am Karfreitag das Amen.
In der christlichen Tradition verbindet sich der Karfreitag über weite Strecken mit einer düsteren Stimmung. Das ist im besonderen das Erbe der hochmittelalterlichen Leidensmystik. Die Evangelien berichten, wie sich der Himmel über Golgatha verfinstert, als Jesus stirbt. Aber in dem Bekenntnis des römischen Hauptmanns finden wir schon einen Vorschein des Ostermorgens. Wir begehen den Karfreitag nicht, weil wir das Leiden verherrlichen, sondern weil von Ostern her, von der Auferweckung Jesu von den Toten, das Kreuz als Ort des Heils verständlich wird, als Quelle des Lebens und der göttlichen Liebe, die stärker ist als alles Leiden und selbst als der Tod.
Der Apostel Paulus hat das folgendermaßen ausgedrückt: „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch sie entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Christi“ (2. Korinther 4,6), der das wahre Ebenbild Gottes ist. Es ist der auferweckte Gekreuzigte, in dem die Herrlichkeit Gottes, seine Liebe, seine Güte und Barmherzigkeit ein für allemal zum Vorschein gekommen ist.
In der Dreigroschenoper von Bert Brecht singt Mackie Messer: „Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Weil von Ostern her das Licht auf Golgatha fällt, werden uns durch Christus die Augen für die geöffnet, die im Dunkeln sind und auf unserer Hilfe, unsere Gemeinschaft und unserer Achtung und Anerkennung warten.
Dietrich Bonhoeffer sagt es so: Christus „wurde Mensch wie wir. In seiner Menschheit und seiner Niedrigkeit erkennen wir unsere eigene Gestalt wieder. Er ist den Menschen gleich geworden, damit sie ihm gleich seien. In der Menschwerdung Christi empfängt die ganze Menschheit die Würde der Gottebenbildlichkeit zurück. Wer sich jetzt am geringsten Menschen vergreift, vergreift sich an Christus, der Menschengestalt angenommen hat und in sich das Ebenbild Gottes für alles, was Menschenantlitz trägt, wiederhergestellt hat. In der Gemeinschaft des Menschgewordenen wird uns unser eigentliches Menschsein wiedergeschenkt.“ (Nachfolge, DBW 4, S. 301)
In der Menschwerdung Christi, seinem Tod und seiner Auferstehung, finden wir den letzten Grund dessen, was man heute gern als die Werte unserer Gesellschaft und unserer Zivilisation bezeichnet. Aber auch das erleben wir, dass man sich lautstark auf christliche Werte beruft und diese dann in Politik und Gesellschaft mit Füßen tritt.
Das ist auch in der Geschichte des Christentums immer wieder geschehen. Juden wurden als vermeintliche Gottesmörder diskriminiert, verfolgt und ermordet. Daran sollte wir gerade an diesem Karfreitag denken, beginnt doch heute abend das jüdischen Pessachfest, ganz wie es auch am Tag der Kreuzigung Jesu der Fall war. Kriege wurden im Zeichen des Kreuzes geführt. Das Kreuz wurde zum Symbol einer triumphalistischen Kirche und der religiösen Intoleranz. Wenn der Tod Jesu als Gericht Gottes über die Welt gedeutet wird, dann spricht er eben auch das Urteil über die Kirche, die sich selbst immer wieder an Christus und anderen Menschen vergriffen hat.
Es ist doch sonderbar: In unserem Land, wo in öffentlichen Gebäuden – in Kindergärten, Klassenzimmern und Gerichtssälen – Kruzifixe als Symbol für die grundlegenden Werte der Gesellschaft und des Staates vorhanden sind, ist ausgerechnet jener Tag, der wie kein anderer den Ursprung und eigentlichen Sinn dieses Symbols verdeutlicht, für die Bevölkerungsmehrheit ein Arbeitstag. Das Kreuz ist kein harmloses Kulturlogo, aber auch keine Waffe, die man gegen Andersdenkende oder Andersglaubende richten darf. Das Kreuz steht vielmehr für die bedingungslose Würde aller Menschen, insbesondere der Bedürftigen und Schwachen, und für eine Kultur der Barmherzigkeit und der Mitmenschlichkeit. Das sind wesentliche Grundlagen einer humanen Gesellschaft, welche die Realität des Leidens nicht verdrängt, an die der gekreuzigte Christus uns erinnert. Er ruft dazu auf, Leidenden beizustehen, aber auch dazu, Leid in all seinen Erscheinungsformen entgegenzutreten. Zugleich ist das Evangelium eine Botschaft der Freiheit, die zu den Grundlagen unserer Gesellschaft wird. „Zur Freiheit hat euch Christus befreit!“ schreibt der Apostel Paulus
Wem es mit alldem ernst ist, der sollte für den Karfreitag als gesetzlichen Feiertag für alle eintreten. Stattdessen hat die Bundesregierung den Karfreitag auf dem Altar wirtschaftlicher Interessen geopfert. Schon steht die Forderung im Raum, es solle künftig gar keine religiösen Feiertage mehr geben, dafür allerdings mehr Urlaubstage. Die Menschen könnten dann selbst entscheiden, ob sie zu religiösen Festen freinehmen wollen oder nicht.
Die Kanzlerpartei hat dieser Idee zwar erst einmal eine Abfuhr erteilt, aber selbst den Weg in diese Richtung geöffnet. Ausgerechnet der Karfreitag ist damit zu einem Symbol für den fortgesetzten Prozess der Privatisierung von Religion geworden, die gleichermaßen eine Folge der Säkularisierung der Gesellschaft wie der Pluralisierung der religiösen Landschaft geworden ist. Hierzulande leben inzwischen weit mehr als doppelt so viele Muslime wie Protestanten. Diesen will aber die derzeitige rechts-konservative Regierung unter keinen Umständen einen Feiertag zugestehen. Doch wenn Religion zur reinen Privatsache erklärt wird, mündet das in einen Laizismus à la Frankreich, der in unserem Land gegenüber der bisherigen Präsenz von Religion im öffentlichen Raum einem Kulturbruch gleichkäme.
So wichtig es ist, Arbeit zu schaffen (hoffentlich eine solche, von der Menschen auskömmlich und in Würde leben können): Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!
Text: Ulrich H.J. Körtner, er ist Ordinarius für Systematische Theologie (reformiert) an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.