Inges Tag
Michael Chalupka über die Leistung einer Alleinerziehenden
Der Wecker klingelt um halb sechs. Inge hat schlecht geschlafen. Der kleine Raffi hat schon wieder Schnupfen. Hat sich im Bett hin- und hergeworfen. Sie überlegt kurz, ob sie ihn in den Kindergarten bringen soll. Geht nicht anders. Der Chef hat das letzte Mal schon gemeint, so dringend scheint sie den Arbeitsplatz ja nicht zu brauchen, wenn alles andere wichtiger ist. Aber sie braucht das Geld, dringend. Die Miete ist wieder gestiegen und die Stromrechnung auch.
Um sieben sitzen sie im Bus, Raffi hat wenig gefrühstückt und schläft immer wieder ein, seine große Schwester Lena braucht noch 10 Euro für den Wandertag. Inge schafft es rechtzeitig in die Arbeit. Die macht ihr eigentlich Spaß. Die Firma hat aber nur Teilzeit für sie, außerdem würde sie es nicht rechtzeitig zum Kindergarten schaffen, würde sie voll arbeiten. Wieder zu Hause wird gekocht, Nudeln mit Pesto und Salat aus dem Sozialmarkt. Gar nicht mal schlecht. Dann hilft sie Lena bei den Aufgaben, wäscht die Wäsche und bügelt noch ein Dutzend Hemden für den netten Nachbarn. Da kann sie sich etwas dazuverdienen, wenn die Kinder schlafen.
Um 10 am Abend hört sie noch mit einem Ohr die Nachrichten. Wer arm ist, soll mehr arbeiten, hört sie. „Leistung muss sich wieder lohnen“, sagt der Bundeskanzler. Inge weiß, dass ihre Leistung damit nicht gemeint ist. Aber sie kann sich darüber nicht mehr ärgern, so müde ist sie. Sie schläft im Sitzen ein.