Im Gespräch – „Wer einmal lügt…“
Julia Schnizlein über sieben Woche ohne Unwahrheit
Julia Schnizlein über sieben Woche ohne Unwahrheit
Haben Sie schon einmal bewusst versucht, aufs Lügen zu verzichten? Ich versuche das seit gut drei Wochen. Jetzt könnten Sie sagen: „Na hallo, Sie wollen doch Pfarrerin werden. Sie sollten sowieso NIE lügen.“ Aber so einfach ist das nicht. Das fängt schon mit der Frage an: Was ist eigentlich eine Lüge?
Wenn ich auf die Frage „Wie geht’s?“ – „gut“ antworte, obwohl es mir schlecht geht? Wenn ich Kinder für ein gemaltes Bild lobe, obwohl ich mir denke: Das geht auch besser…? Muss man grundsätzlich immer die Wahrheit sagen, auch wenn man sich selbst oder jemand anderem damit schadet?
Die Fastenaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland „Fasten im Kopf – 7 Wochen ohne Lügen“ widmet sich dem Umgang mit der Wahrheit. Es geht darum, einmal genauer hinzuhören, wie oft wir zur Lüge greifen. Meist ohne darüber nachzudenken.
Zur Bequemlichkeitslüge zum Beispiel. Also jener Lüge, mit der ich eine lange getroffene Verabredung absage, nur weil mir in dem Moment Energie und Lust fehlen: „Kopfschmerzen“, sagt die Lüge. Und das Gewissen sagt: „Jetzt hast Du dir selbst und dem anderen die Chance auf einen vielleicht wirklich netten Abend verbaut.“
Dann ist da die Selbstgefälligkeitslüge, mit der wir uns selbst in die Tasche lügen. Mit der wir an bequemen Illusionen festhalten und Dinge von uns weisen – „ich doch nicht!“ Nur, um uns der Realität nicht zu stellen und die Konsequenzen nicht zu tragen.
Nicht nur bequem, sondern auch gefährlich sind jene Lügen, die wir in unser Leben lassen, nur weil sie unsere eigene subjektive Meinung spiegeln. Die uns glauben lassen, was uns in den Kram passt. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt. „Klimawandel? Gibt’s doch nicht!“, ist so eine Lüge namens „Fake News“.
Aber es gibt auch „gnädige“ Lügen. Die aus Empathie und Mitgefühl entstehen. Bis heute erinnere ich mich schmerzlich daran, wie sehr ich mich nach einer erlösenden Lüge gesehnt habe, als unser kleines Mädchen wochenlang auf der Intensivstation lag. Nach jemandem, der sagt: Das wird wieder gut! Anstelle der ehrlichen Schwester, die mir auf mein banges Flehen entgegnete: „Auf einer Intensivstation kann man nie sagen, ob jemand lebend oder tot rauskommt.“
Meist ist die Wahrheit viel schonungsloser und unbequemer als die Lüge. Oft wollen wir sie eigentlich gar nicht hören. Und trotzdem bin ich davon überzeugt, dass letztendlich nur die Wahrheit uns frei und selbstbestimmt leben und handeln lässt. Wichtig ist, sie gut zu kommunizieren! Nach Max Frisch: „Man sollte die Wahrheit dem anderen wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann; nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf schlagen.“
Julia Schnizlein, MA ist Vikarin in Wien-Währing. Kontakt: *protected email*