Im Gespräch – „Ich vergesse dich nicht!“
Maria Katharina Moser über Gott, der uns beim Namen ruft
„Eine ältere Dame, die an Demenz litt, ging im Pflegeheim ruhelos die Gänge auf und ab – immer und immer wieder wiederholte sie nur ein Wort“, berichtet John Swinton in seinem Buch über Demenz und Glaube. „Die PflegerInnen machten sich Sorgen, aber niemand wusste, wie sie zu beruhigen wäre. Sie verstanden nicht, was der Grund für ihr Leiden war. Das Wort, das sie wieder und wieder wiederholte, war ‚Gott‘ – und das war alles, was sie sagte. Eines Tages gesellte sich eine Pflegerin zu ihr und ging mit ihr auf und ab. Einer Eingebung folgend fragte die Pflegerin: ‚Haben Sie Angst, Sie könnten Gott vergessen?‘- ‚Ja, ja‘, antwortete die Dame mit Nachdruck. Und die Pflegerin konnte ihr sagen: ‚Wissen Sie, sogar wenn Sie Gott vergessen sollten, er wird Sie nie vergessen. Das hat er versprochen.‘ Für die Dame, die schon vieles vergessen hatte und der das bewusst war, war diese Versicherung das, was sie gebraucht hatte. Sofort wurde sie ruhiger und ihr seltsames Betragen hörte auf.“
Geschichten wie diese wurden am 5. Mai in vielen evangelischen Gottesdiensten erzählt. Da war Diakoniesonntag, und Thema des diesjährigen Diakoniesonntags war Leben mit Demenz. Auch belastende Erfahrungen sollen Platz haben im Gottesdienst. Besonders belastend ist für Angehörige, vom Vater oder der Mutter, die an Demenz erkrankt ist, nicht erkannt zu werden. Auch Menschen, die mit Demenz leben, selbst kränken sich, wenn sie merken, dass sie immer mehr vergessen. In diese schmerzlichen Erfahrungen hinein spricht Gott: „Ich vergesse dich nicht.“
Beim Propheten Jesaja lesen wir: „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. Sieh her, ich habe dich eingezeichnet in meine Hände.“ Niemand kann in Gottes Augen verloren gehen. Unser menschliches Erinnern und Vergessen ist aufgehoben im Erinnern Gottes. Gott kennt uns beim Namen. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, heißt es in der Bibel, und: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Gott erinnert sich an jede und jeden einzelnen von uns – als einmalige, unverwechselbare Person. Dass der Name eng mit der Persönlichkeit verbunden ist, kennen wir aus Alltagserfahrungen. Zum Beispiel, wenn Eltern überlegen, wie sie ihr Kind nennen wollen. Ein Elternteil schlägt Marianne vor, und der andere Elternteil meint, nein, ich kenne eine Marianne, die finde ich unsympathisch.
Wenn uns Gott beim Namen ruft und unser Name im Himmel geschrieben ist, bedeutet das, dass Gott uns kennt mit unserer ganzen Geschichte und allem, was uns als Person ausmacht. Dieser Name kann weder verloren – noch kaputtgehen – durch keine Krankheit.
Dr. Maria Katharina Moser ist Direktorin der Diakonie Österreich. Kontakt: *protected email*