Gott ist nicht „lieb“
Julia Schnizlein über eine schwere theologische Grundfrage
„Kann der liebe Gott meinen gebrochenen Arm heilen? Bis morgen?“, fragt mich ein Mädchen nach dem Schulgottesdienst. Morgen, so erzählt sie mir, habe sie Geburtstag und den wolle sie im Kletterpark verbringen. „Gott ist kein Zauberer“, versuche ich zu erklären. Er helfe ihr bestimmt beim Gesundwerden, aber manche Dinge bräuchten eben Zeit, damit sie wieder gut und heil werden können. Enttäuscht zieht das Mädchen ab und sagt: „Das ist aber nicht lieb vom lieben Gott.“
Sie hat recht, denke ich. Gott ist wirklich nicht lieb. Er ist die Liebe, sagt die Bibel! Aber lieb – im Sinne von „nett, freundlich, gefällig“ – ist er nicht. Gott heilt weder über Nacht gebrochene Arme, noch beendet er augenblicklich den Ukraine-Krieg. Er verhindert keine Naturkatastrophen, stürzt Diktatoren nicht vom Thron und greift nicht in die Klimakrise ein. Schon immer haben sich Menschen daher gefragt: Warum lässt Gott all solches Leid tatenlos zu?
Ohne es zu wissen, hat dieses kleine Mädchen mit ihrer Bemerkung eine Grundfrage der Theologie berührt – die sogenannte „Theodizee-Frage“: Kann Gott das Leid der Welt nicht verhindern oder will er nicht? Wenn er nicht kann, ist er nicht allmächtig und wenn er nicht will, ist er nicht gut. Und erst recht nicht lieb.
Seit jeher versuchen gelehrte Menschen Antworten und Erklärungen zu finden. Manche glaubten, Leid sei eine Prüfung für den Menschen, eine Bestrafung oder Erziehungsmaßnahme. Andere meinten, die Tatsache, dass es auf der Welt so viel Elend und Grausamkeit gebe, sei ein Beweis dafür, dass Gott nicht existiere.
Ich persönlich glaube, dass das Leid eine Folge der menschlichen Freiheit ist. Gott hat uns frei erschaffen und wir nutzen diese Freiheit eben nicht nur zum Guten. Und trotzdem nimmt Gott uns die Freiheit nicht wieder, weil er die Menschen trotz allem liebt. Liebe heißt nicht lieb sein. Liebe ist nicht bloß „Wohlverhalten“. Liebe ist unbegreiflich, unberechenbar, unlogisch. Liebe lässt los und lässt zu. Sie „erträgt alles, glaubt alles, hofft alles“ (1. Korinther 13). Der Weg der Liebe hält immer auch Leid bereit, und diesen Weg mutet Gott uns zu. „Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1. Johannes 4).