Gedenken an die Auschwitz-Deportationen vom Wiener Nordbahnhof ab 1943

10. Veranstaltung der Vernetzten Ökumene Wien zum "Tag des Judentums"

 
von Martina Schomaker
Die KZ-Deportationen vom Nordbahnhof in Wien waren Thema am 16. Jänner. Foto: Pixabay/annacapitures
Die KZ-Deportationen vom Nordbahnhof in Wien waren Thema am 16. Jänner. Foto: Pixabay/annacapitures

Ein Bericht von Dr. Elisabeth Lutter:

Die diesmalige Gedenkstunde zur Einstimmung in den „Tag des Judentums“, die zehnte in dieser Form, fand erstmals nach der „Corona-Pause“ wieder in einer Bezirksvorstehung statt, um auch den Anrainern und kirchenfernen Menschen die Gelegenheit zur Teilnahme anzubieten. Das Bezirksamt Leopoldstadt war Ort des Gedenkabends wegen des inhaltlichen Bezugs zum Thema der Veranstaltung: die KZ-Deportationen vom Nordbahnhof. Der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde, Mag. Benjamin Nägele, und der Bezirksvorsteher der Leopoldstadt, Alexander Nikolai, wollten laut Programm gerade zu diesem Punkt in ihren Begrüßungsworten Stellung nehmen. Im allerletzten Moment mussten aber beide ihre Teilnahme - und somit ihre Beiträge - absagen. Dr. Willy Weisz, selbst Jude und Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, übernahm auf Bitte der Progarmmkoordinatorin Dr. Elisabeth Lutter, Vernetzte Ökumene Wien, nach deren persönlicher Begrüßung und Einführung die Eröffnungsworte stellvertretend für die beiden Ausgefallenen, ihm gebührte besonderer Dank!

Zum Thema des Gedenkabends

Im November 2023 jährt sich zum 85. Mal der Beginn des November-Pogroms, der „Reichskristallnacht“, des Auftakts zur proklamierten „totalen Ausrottung der Juden“. Das „Wiener Modell“ der Radikalisierung der Menschen aus diesem Grund ist ein trauriger Teil der Geschichte Wiens! Eine Ausstellung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in London (noch zu sehen bis 19.2.23!) belegt mit Fotos diese Tatsache.Oskar Kostelnik hat im Anhang zu seinem jüngsten Buch „Jüdische Spuren in Döbling“ eine „Chronologie der Verfolgung“, eine „Auswahl antijüdischer Bestimmungen“ zwischen 1938 bis 1944 zusammengestellt - allein 72 Bestimmungen führt er in der „Auswahl“ auf - ein Horror, sich das Leben unter diesen Umständen als Betroffene/r vorzustellen...

Und 80 Jahre sind es in diesem Jahr her, seit ab 1943 sämtliche KZ-Deportationen direkt vom Nordbahnhof nach Auschwitz, direkt in den Tod, abgewickelt wurden. (Vorher gingen diese Züge vom Aspang-Bahnhof ab.)

Expertinnen Keil und Raggam-Blesch informieren sachkundig-beklemmend

Frau Dr. Martha Keil, Leiterin des Instituts für die Geschichte der Juden in Österreich, und Fau Dr. Michaela Raggam-Blesch, Mitarbeiterin des Nordbahnhof-Projekts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (die auch für die erwähnte Londoner Ausstellung zum “Vienna Model” verantwortlich war), haben den historischen Hintergrund des Gedenk-Abends sachkundig-beklemmend dargestellt. Den Veranstaltern war die Information breiter Kreise über dieses Thema wichtig, weil auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs gerade ein gewaltiges Wohnbauprojekt entsteht: die Menschen, die dort wohnen werden, sollten, laut Veranstaltern, wissen, was sich in der gepflegten Wohnlandschaft (denn es soll dort auch ein großer Park entstehen!) , in die sie einziehen werden, vor nur  e i n e m Menschenalter abgespielt hat. Der Bezirksvorsteher, Alexander Nikolai, sollte laut Programm dazu sprechen, musste sich aber wegen einer unmittelbar bevorstehenden Operation akut schmerzbedingt für diesen Abend entschuldigen. Dieser Beitrag hat schmerzlich gefehlt!

Präsident Jäggle: "Geschwisterlichkeit statt Judenfeindschaft"

Den anschließenden spirituellen Teil des Abends leitete Univ.Prof.em. Dr. Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, mit einem Statement „Geschwisterlichkeit statt Judenfeinschaft” ein, gefolgt vom christlichen Schuldbekenntnis (Dechant Ferenc Simon) und Friedensbitten nach Worten des Hl. Franz von Assisi, gesprochen vom Bischof Andrej Cilerdzic der serbisch-orthodoxen Kirche. Daran schloss sich die bewegende jüdische Totenklage für die Opfer des Holocausts an, erschütternd gesungen von Oberkantor Shmuel Barzilei. Das abschließende Referat hielt Prof. Awi Blumenfeld von der interkonfessionellen religionspädagogischen Hochschule Wien-Krems zum Thema “Hinter jedem (noch so schrecklichen) Ende steht ein neuer Anfang” - eine gemeinsame christlich-jüdische Überzeugung!

Dank an die Klezmer-Gruppe "Mazeltov" und weitere Mitwirkende

Für die entsprechende Atmosphäre zwischen den Abschnitten des Programms sorgte wie alljährlich dankenswerter Weise die Klezmer-Gruppe “Mazeltov” von Frau Prof. Christa Oprießnig, die mit großem Applaus bedacht wurden..

Zum Schluss dankte Dr. Elisabeth Lutter von der Vernetzten Ökumene Wien als Gastgeberin des Abends nochmals allen Mitwirkenden, besonders Shmuel Barzilei und Awi Blumenfeld. Auf dessen Referat bezogen, erinnerte sie an eine wenige Tage zurückliegende Veranstaltung zum Thema “Gemeinsam im Zelt Abrahams”, bei der der Referent, ein reformjüdischer Rabbiner, so wie Blumenfeld betont hatte, das gemeinsame Ziel müsse es sein, dass a l l e Kinder Abrahams, die Söhne Isaaks ebenso wie die Ismaels, mit den Christen zusammen “im Zelt Vater Abrahams” einander friedlich begegnen können.

Die Veranstaltung endete mit einer koscheren Agape bei Brot und Wein - Zeit für persönliche Gespräche und Gedankenaustausch. Es waren ca. 50 TeilnehmerInnen gekommen.

Text: Dr. Elisabeth Lutter

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