Der Kuss
Michael Chalupka über ein Zeichen und dessen Bedeutungen
„Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes“, so hebt das Hohelied der Liebe an. Die Bibel ist ein Buch der Liebe. Doch sie hat auch Elemente des Kriminalromans in sich. So wird etwa vom abgesetzten Heerführer Joab erzählt, wie er zu seinem auserkorenen Nachfolger sagte: „Friede sei mit dir, mein Bruder! Und Joab fasste mit seiner rechten Hand Amasa beim Bart, um ihn zu küssen.“ Und während des Kusses rammte er ihm den Dolch in den Leib und tötete ihn. Das erinnert an den Judaskuss, mit dem Judas Jesus verriet und ihn seinen Verfolgern auslieferte. Und so heißt es im Buch der Sprüche: „Trügerisch sind die Küsse von Feinden.“
Es gibt unzählige Arten zu küssen. Der Kuss zur Begrüßung, der politische Bruderkuss, wie er unter den Führern des Kommunismus üblich war, oder der Heilige Kuss im Gottesdienst, wie er den Christinnen und den Christen der ersten Gemeinden aufgetragen war. Dieser wurde allerdings im Mittelalter der Amtskirche suspekt, sodass von da an nur noch Kusstafeln geküsst wurden, die von einem zur anderen weitergereicht wurden.
In einem Leben gibt es Küsse, an die erinnert man sich gern, andere können getrost dem Vergessen anheimfallen, und von manchen hätte man gerne erst gar nicht erfahren. Und dann gibt es Küsse, von denen wir nur träumen können. In der Bibel wird von einem Kuss erzählt, der die Welt verändern könnte: „Wenn Friede und Gerechtigkeit sich küssen“, dann ist die Welt im Lot.