Bünker: „Europa den Bürgerinnen und Bürgern zurückgeben“
Ö1-Gespräch anlässlich des österreichischen EU-Ratsvorsitzes
Wien (epdÖ) – „In einer Zeit zunehmender Unsicherheit ist die Versuchung groß, in der nationalstaatlichen Steuerung ein Allheilmittel zu sehen. Das ist verständlich, aber es ist auch ein Irrweg.“ Das sagte Bischof Michael Bünker anlässlich des österreichischen EU-Ratsvorsitzes in der zweiten Jahreshälfte im Gespräch mit Ö1 am Sonntag, 8. Juli. Die bevorstehenden Herausforderungen – Bünker nennt den Klimawandel, die Globalisierung, die Digitalisierung der Arbeitswelt, die Migration, „könnten keinesfalls von Nationalstaaten allein gelöst werden, sondern wenn, dann nur gemeinsam.“
Mit Blick auf das Motto des Ratsvorsitzes „Ein Europa, das schützt“ kritisiert Bünker die Konzentration auf vermeintliche Bedrohungen von außen und die fehlende Berücksichtigung des Sicherheitsgefühls der Menschen „das durch die sozialen Entwicklungen in Frage gestellt ist, also Pflege, Bildung, Gesundheit, Jugendliche und viele andere.“ Einem Europa, das sich nur um den Schutz seiner Außengrenzen kümmere, hält Bünker, der bis September auch noch Generalsekretär der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) mit Sitz in Wien ist, „ein freies Europa, das seine Verantwortung wahrnimmt“ entgegen. „Es war immer ein Kennzeichen von Europa, dass die marktwirtschaftliche Orientierung und Grundausrichtung erfolgreich in Balance gehalten wird mit den sozialen Leistungen, die in diesem Kontinent kennzeichnend sind.“
„Migration Kennzeichen einer globalisierten Welt“
Die Frage der Migration – für Bünker „nicht an erster Stelle“ – werde sich nicht von heute auf morgen beantworten lassen, sondern Europa weiter begleiten, „weil sie eben ein Kennzeichen der globalisierten Welt ist.“ Notwendig sei hier eine geordnete, gute und gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik und die Einsicht, dass Fluchtursachen oft in „ungleichen, ich will nicht sagen ungerechten, Wirtschaftsbeziehungen“ begründet lägen, die Europa unter anderem mit Ländern im südlichen Afrika unterhalte. „Asyl ist ein Menschenrecht, Flucht ist kein Verbrechen, daher sind für die Kirchen all jene Tendenzen sehr bedenklich, durch die Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen und Schutz suchen, kriminalisiert werden.“
Europa als „Idee auf der Suche nach Realität“
Für eine gemeinsame europäische Zukunft sei es wichtig, Europa nicht den Nationalstaaten wegzunehmen, „aber den Bürgerinnen und Bürgern zurückzugeben.“ Angesichts der bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament im Frühjahr 2019 sieht Bünker jedoch die Gefahr, dass Kräfte die Mehrheit bekommen, „die letztlich das europäische Integrationsprojekt nicht nur kritisieren, sondern auch in Frage stellen, ja überhaupt zerstören wollen.“ Mit dem Politologen Ivan Krastev versteht Bünker Europa als eine „Idee auf der Suche nach Realität.“ Es gelte, ein Zusammenleben in Vielfalt als positiven Schatz zu sehen und zu fördern. Wenn es darum gehe, Europa „eine Seele zu geben“ seien zudem Kirchen, aber auch Weltanschauungsgemeinschaften vor eine große Herausforderung gestellt: „Ein Zusammenleben in Vielfalt wird ohne unnötige Angst nur möglich sein, wenn es sinnstiftende Einrichtungen wie Kirchen und Religionsgemeinschaften gibt und sie ihren Beitrag in Europa leisten können.“
Das Gespräch mit Bischof Michael Bünker in der Ö1-Sendung „Lebenskunst“ kann in der Ö1-Mediathek nachgehört werden: https://oe1.orf.at/erfuelltezeit